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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Mägde. Gäbe es viele fromme Knechte und Mägde, oder vielmehr, gibt es hie und da einen oder den andern frommen Knecht, eine und die andere fromme Magd, so konnten sie ohne Zweifel die Worte unsres Textes zu einem Knechte- und Mägdespiegel wählen. Sie könnten sich aus Liebe in dasselbe Verhältnis setzen, und in dem Gedanken, in ihren Herrschaften Christo zu dienen, selige Weihe, große Hebung und Freudigkeit finden. Ebenso könnten die Herren im letzten Verse unsres Textes sich angeeifert finden, ihren Dienstboten fromme Hausväter zu sein. Wie einfach, wie völlig richtig und gerecht wäre für sie der Schluß: Wenn man den Sklaven, was recht und gleich ist, beweisen soll, wie vielmehr wird man es den freien Leuten beweisen müßen, die sich um Geld und Lohn herbei laßen, fremder Leute Dienste zu thun. Auf dem Boden der Liebe zwischen Dienstboten und Herren könnte also allerdings die schönste Anwendung unsres Textes erwachsen. Wie froh würde ich auch sein, wenn es unter euch vielen Dienstboten und Knechten gefiele, diese Anwendung zu machen! Wie gerne will ich sie auch selbst machen, und euch helfen, wenn ihr wollet. Und wie viel mehr werde ich mich gedrungen fühlen, bei solchen Texten, in denen unsre Verhältnisse ihre Zurechtweisung und Förderung finden, die nöthige eingehende Erklärung zu geben, ja wo möglich in euer Herz zu dringen, damit diese hochwichtige Angelegenheit unsrer Tage, das Verhältnis der Lohnarbeiter und ihrer Dienstherren recht beleuchtet und in seiner christlich verklärten Gestalt der Gemeinde lieb und werth gemacht, ach, Gott gebe, in einige Uebung gebracht werde. Heute aber stehe ich im Dienste meines heutigen Textes und seines nächsten Sinnes, und da mir die Verhältnisse mangeln, für die ich eine eingehende Betrachtung des apostolischen Wortes für Herren und Sklaven zu machen hätte, so erlaube ich mir nur, euch etwas eingehender auf die mächtige Wirkung aufmerksam zu machen, welche das Christentum auf das Verhältnis zwischen Herren und Sklaven nach unserm Texte hervorbringen kann und vielfach hervorgebracht hat.

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 Ich kann mir, meine lieben Brüder, als ein Mann, der unter einem freieren Volke aufgewachsen ist, gar nichts jämmerlicheres denken, als die Sklaverei. Ich will gar nicht einmal auf den Misbrauch des Sklaven sehen, von dem uns so manchmal berichtet wird, der zu Gott im Himmel schreit, und über den man Fäuste ballen könnte, auch wenn man sanften, liebevollen Geistes ist, ja gerade wenn man das ist. Aber es ist mir schon das Eine jämmerlich genug, einen Menschen denken zu müßen, den Gott geschaffen, Christus erlöset und der Geist Gottes geheiligt hat, der aber seines Leibes nicht Herr ist, und unter dem Zwang eines andern dermaßen steht, daß er ihm ohne Lohn und Dank zu Nutzen leben, und alle seine Zeit und Kraft, ja auch die seines Weibes und seiner Kinder, einem andern hingeben muß, dem gegenüber er kaum irgend ein Recht in Anspruch nehmen darf. Und dieses Verhältnis, welches meinem natürlichen Sinn so widerwärtig und schwierig vorkommt, tilgt dennoch das Christentum nicht geradezu aus. Es fordert nicht mit Feuer und Schwert dazu auf, dasselbe von der Erde hinweg zu thun, wo man es irgend findet; nein, es erkennt das Recht der Herren über die Sklaven an, und weiß, wie unser Text den laut redenden Beweis gibt, die Sklaverei zu verklären, und in einen heiligen göttlichen Stand, ja in eine Freude und Bewunderung der heiligen Engel und der Kirche Gottes umzuwandeln. Wahrlich, meine Freunde, wenn sich irgend das Christentum groß und mächtig erweist, so ist es in diesem Falle. Da geschieht in der That etwas Aehnliches, wie auf dem Berge der Verklärung. Wie auf diesem der erniedrigte Christus auf eine kleine Zeit in die Herrlichkeit Seiner Erhöhung eintrat, so wird in unserm Texte die Menschheit in ihrer tiefsten Erniedrigung, in der Sklaverei ergriffen, und dieser Stand in der Glorie einer königlichen und priesterlichen Zier gezeigt. Da erprobt sich die verklärende Kraft des göttlichen Geistes, da kann, wer Augen hat zu sehen, mit Augen sehen, ja mit Händen greifen, von wannen die Religion Deßen ist, der selbst Knechts- und Sklavengestalt angenommen hat, und im Grunde am Kreuz den Tod eines Sklaven starb; denn das Kreuz war im Altertume die Todesweise der Sklaven. Schön und herrlich ist es, wenn Mann und Weib sich wohl begegnen, Eltern und Kinder im großen Frieden und in Liebe leben; aber wenn die Sklaverei zu einem Institute göttlicher Erziehung, zu einer Schule des einfältigen, ungeheuchelten Dienens, zu einem priesterlichen Stande, darin man Gott dem HErrn dienen kann, zu einer

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/148&oldid=- (Version vom 1.8.2018)