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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

unsrem Texte vorstellt und unter den Christen haben will. –

 Bereits haben wir im Vorübergehen gesagt, daß die Epistel die Eheleute, die Kinder und Eltern, die Sklaven und Herren ihrer Pflichten erinnert. Der Inhalt der Epistel ist also dreitheilig, so zwar, daß ein jeder von den drei Theilen wieder je in zwei Theile zerfällt, wie es denn bei den Verhältnissen, die behandelt werden, nicht anders sein kann. Bei der Anordnung der Unterabtheilungen eines jeden von den drei Haupttheilen ist einerlei Verfahren beobachtet: es sind nemlich immer die Pflichten desjenigen Theiles, welcher dem andern untergeordnet ist, voran gestellt, also die Pflichten der Weiber den Pflichten der Männer, die der Kinder denen der Eltern, endlich die der Sklaven denen der Herren. Wie wenn der Apostel hätte sagen wollen, daß vor allen die Untergebenen ihre Schuldigkeit thun müßen, wenn es wohl stehen soll in der Gesellschaft; wie wenn er also gerade von ihnen für den allgemeinen Frieden und die allgemeine Wohlfahrt am meisten erwartet und im Sinne gehabt hätte, sie besonders für die Wohlfahrt der Familien verantwortlich zu machen. Es tritt das auch so stark hervor, daß unter den untergeordneten die untergeordnetsten, die Sklaven, die eingehendste und längste Ermahnung bekommen. Hätte der Apostel den Weg eingeschlagen, – welchen ihm das Mitgefühl und Mitleid mit denen eingegeben hätte, welche der leidende Theil in der Menschheit genannt werden können; so würde er das umgekehrte Verfahren beobachtet, er würde wenigstens die Männer und die Herren vorzugsweise ermahnt, die Sklaven und die Frauen aber getröstet haben. Aber entweder hat der Apostel die hohe Meinung, welche andre von der bevorzugten Stellung der Männer, Eltern und Herren zu haben pflegen, nicht getheilt, oder er hat gerade den mehr untergeordneten und leidenden Theil der Menschen für berufen erachtet, durch getreue Erfüllung schwererer Pflichten dem HErrn desto größere Ehre zu machen. Uebrigens kann auch kein Mensch leugnen, daß in unsrem Texte die Pflichten des bevorzugten Theiles der Menschheit immer so hingestellt sind, daß sie denen genau entsprechen, welche dem untergeordneten Theile gepredigt werden. Gerade diese Harmonie ist das hervorstechendste und wunderbarste, und man kann deutlich erkennen, wie es der Apostel keineswegs hauptsächlich damit zu thun hat, dem einzelnen Theile das Seine, sondern vielmehr allen das Ihre zu sagen, damit alle ihren Beitrag zum Glück und zur Wohlfahrt des Ganzen thun können. St. Paulus sucht das Wohl der Kirche, darum lehrt er immer eine Hand die andre waschen, einen Theil sich gegen den andern so benehmen, daß beide glücklich und zufrieden mit einander leben und dadurch den HErrn preisen können.

 Sehen wir nun zunächst auf das Verhältnis der Eheleute, so werden die Frauen zuerst angeredet und ihnen die Unterordnung unter die Männer, der Gehorsam auf’s Gewißen gegeben. „Ihr Weiber, sagt er, gehorchet euren Männern,“ oder „seid unterthan euren Männern.“ Das morgenländische Weib weiß nicht anders, als daß sie gehorchen und unterthan sein muß; es scheint daher überflüßig, es zur Unterthänigkeit zu ermahnen. Allein da das Christentum den Grundsatz aufstellt: „Da ist kein Mann und kein Weib, sondern allzumal Einer in Christo JEsu,“ so konnte das gläubig gewordene Weib bei der Stellung und Hebung, welche die Frauen in Christo JEsu bekamen, wohl auf den Gedanken kommen, als bringe der Geist Christi auch unter die Eheleute eine andere Ordnung, als brauche es nun die alte Unterordnung ferner nicht. Dem tritt nun der heilige Paulus entgegen und zwar nicht allein durch seine Einschärfung der Unterthänigkeit des Weibes unter den Mann, sondern auch durch Anfügung eines besondern Grundes, nemlich: es gezieme sich nicht anders für Frauen, die in Christo JEsu seien. „Seid unterthan den Männern, wie es sich ziemt in dem HErrn,“ so sagt er. Damit ist freilich der ganze Nebel niedergeschlagen, und es kann niemand mehr auftreten und von einer Befreiung der Frauen vom Gehorsam gegen ihre Männer, von Aufhebung des Gehorsams reden, er müßte denn selbst nicht in Christo JEsu sein und sich für befugt halten, sich über das, was Er und Seine Apostel einmüthig sagen, freventlich wegzusetzen. Es ist wohl allerdings richtig, daß manche Frauen vermöge ihrer Gabe und der Beschaffenheit ihrer Männer denselben vorangehen und ihnen den Weg zeigen müßen, müßen sage ich, weil es auch die Noth erfordert und hie und da alles zu Grunde gehen würde, wenn nicht ein kluges Weib dem Manne in die Zügel griffe; aber ein Glück, ein

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/144&oldid=- (Version vom 1.8.2018)