Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres | |
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zu zeigen und vorzulegen, die sie bedarf, eine eigne Weisheit, das Wort Gottes fruchtbar zu machen. Es kann sich auch niemand unterwinden Lehrer zu werden, ohne die Gabe zu haben; wo aber Gabe ist, Erlaubnis und Beruf zu lehren und zurecht zu weisen, da soll ja niemand die Gabe verachten, jedermann zuhorchen, und dem HErrn danken, der noch allezeit Haushalter über Seine Geheimnisse gibt, die aus dem Reichtum des göttlichen Wortes ihre Brüder speisen und tränken und kleiden, heilen und erhalten können zum ewigen Leben. Der die Schrift gegeben hat, der hat auch die Hirten und Lehrer, Lehre und Zurechtweisung gegeben, und Der gebe es nur ferner und laße mit Seinem Worte auch Lehre, Zurechtweisung oder Vermahnung reichlich unter uns wohnen. –
Zwei Theile des Gottesdienstes, das Wort Gottes und das treue Wort der Lehrer haben wir bereits in unserm Texte gefunden. Greifen wir über den 16. Vers hinauf in das Ende des 15., so finden wir dort die Worte: „und seid dankbar“. Diese Worte stehen mit dem 16. Verse in einer genaueren und innigeren Verbindung, als die deutsche Uebersetzung es möglich macht einzusehen, und an sie schließt sich der gesammte 16. Vers so innig an, daß man sogar auf den Gedanken kommen könnte, der gesammte Inhalt dieses Verses zeige die Art und Weise an, wie man den Dank beweisen solle, zu welchem der Apostel auffordert. Es scheint, wie wenn die Lehre und Zurechtweisung im Sinne der Danksagung geschehen solle, wie wenn die Psalmen und Hymnen und geistlichen Oden, von welchen die Rede ist, zum Zwecke der Danksagung gebraucht werden sollten. Ja bei der Erwähnung der Psalmen und Lobgesänge und geistlichen Oden findet sich ein Wort, welches in der lutherischen Uebersetzung zwar mit dem Ausdruck „lieblich“ wiedergegeben ist (denn Luther übersetzt ja: geistliche, liebliche Lieder), welches aber auch „Dank“ heißt, und von andern Uebersetzern auch geradezu mit „Dank“ gegeben wird, so daß die Stelle wörtlich lautet: „Singet in Dankbarkeit in euren Herzen Gotte mit Psalmen und Hymnen und geistlichen Oden.“ Mag nun aber auch das nicht sein, und die Danksagung in unsrer Stelle nicht so sehr vorherrschen, als wir so eben angenommen haben, ja mag man die ganze Stelle durch eine andere Setzung der Interpunktionszeichen ein wenig anders gestalten, wie es denn hie und da geschieht, das bleibt doch immer klar, daß Psalmen und Hymnen und Oden in den Gottesdiensten der ersten Kirche nach apostolischer Anordnung gebraucht wurden. Unter den Psalmen kann man nichts anderes verstehen, als die Psalmen Davids oder den Psalter, welcher von Anfang an in der Kirche als das edelste, ja von Gott selbst dargebotene Gesangbuch angesehen, gebraucht und geübt wurde. Die Hymnen und geistlichen Oden deuten darauf hin, daß schon in jenen Erstlingstagen der Kirche durch die Kraft des heiligen Geistes aus dem Herzen der Heiligen hervor eine himmlische Poesie erwuchs, die sich im Gesange von Hymnen und geistlichen Oden erwies. Wenn diese Hymnen und Oden auch nicht wie die Psalmen göttliche Eingebung hatten, so waren sie dennoch geistlich, nicht weltlich, süße Früchte des heiligen Geistes, der Herz und Sinnen der Kinder Gottes umgeändert hatte. Es gibt auch eine weltliche und natürliche Poesie, mit welcher aber die Kirche Gottes am wenigsten in ihrem gottesdienstlichen Leben etwas zu schaffen haben kann. Mag man ihr einen Werth zuschreiben, wie auch andern weltlichen und natürlichen Dingen, immerhin ist und bleibt sie geschieden von der Kirche Gottes, welche dagegen ihre eigne heilige Poesie hat und hegt und pflegt. Sie liebt über alles die Psalmen, sie liebt und pflegt auch die Hymnen und Oden. Die Hymnen sind Loblieder auf Gott, die Oden besingen andere Dinge, die im Reiche Gottes geliebt, geehrt, geachtet werden. Die Hymnen sprechen Gott an, die Oden reden von den Gütern des Hauses Gottes, besingen das Wort und Sacrament, den Frieden Jesu und Seine Freude, Sein Reich, deßen Ausbreitung und Glorie, die Tugenden der Heiligen und dergleichen mehr. Unsre Stelle zeigt, daß die ersten Christen in ihren Versammlungen, bei den Gesängen, die aus ihren Herzen strömten, nicht blos Gott lobten und Ihm dankten in den Hymnen, sondern daß sie auch in ihren Oden vor Gottes Angesicht Dank und Freude aussprachen für alle Güter des Hauses Gottes, daß sie, wie man auch übersetzen könnte, Gotte in ihrem Herzen in Dank und Freude sangen und besangen jede gute und vollkommene Gabe, die vom Vater des Lichtes herab kam. – Auch wir, meine lieben Brüder, brauchen Hymnen und Oden; je höher die Feier, desto mehr herrscht der Hymnus, der Lobgesang Gottes
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/140&oldid=- (Version vom 1.8.2018)