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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Leistungen und Werke öffentlich ausstellen, nach Auszeichnung und Anerkennung ringen konnten. Bei diesen Festspielen gab es Kampfrichter, welche die Ordnung der Versammlung und der Spiele fest zu setzen und zu überwachen, die Leistungen der Kämpfer zu beurtheilen, die Preise zuzuerkennen, die Ansprüche der Kämpfer zu erwägen hatten. Sie waren für die Dauer des Festes und der Spiele die Regenten. Mit Beziehung auf diese Gewohnheit der Heiden, sagt nun der Apostel in unserm Texte, der Friede Christi solle Kampfrichter in den Herzen der Gläubigen und in der Gemeinde sein, er solle die Ordnung machen, nach der man zu leben, Ziel und Preis bestimmen, nach welchem man zu ringen habe. Wenn nun aber der Friede allezeit den Ausschlag geben soll, der Friede Christi, so ist es am Tage, daß es in den Herzen und Gemeinden der Gläubigen keine Unruhe, keinen Streit noch Krieg geben soll. Weil wir in Christo Jesu versöhnt sind mit dem ewigen Vater, und zwischen uns und ihm ein unerschütterlicher Friede aufgerichtet ist, so sollen wir alle Kinder des Friedens sein. Weil Friede ist im Himmel, soll auch Friede in unserm Herzen und im Leben sein. Wenn sich in uns ein Unfriede, ein Tumult der Leidenschaft erheben will, dann erinnert der Geist uns an den Frieden mit Gott, und weil mit Dem Friede ist, so muß sich der Tumult der Seele legen wie der wirre Nebel, wenn die Kraft der Sonne ihn niederdrückt. Es ist nicht nöthig, in irgend eine Unruhe zu kommen, seitdem Christus Friede gemacht hat zwischen uns und Seinem Vater. Der Gottesfriede schafft Herzensfrieden, eine stille Art der Seelen, da man schon um deswillen, daß die Seele eine ewige Sicherheit und ein ewiges Leben empfangen hat, keine Lust mehr fühlt, der Aufregung irgend einer Leidenschaft sich hinzugeben. So regiert dann im Herzen der Friede. Nicht minder soll er in der Gemeinde regieren. Der Apostel redet von der Gemeinde, wenn er sagt: „Wir seien zum Frieden berufen, in Einem Leibe“. Der Leib ist die Gemeinde. Alle Heiligen bilden Einen Leib. Der Leib aber ist ein friedenvolles Ganzes: nach Einem Gesetze des gemeinsamen Lebens thut ein jeder Theil und jedes Glied des Leibes sein Geschäft; jedes Glied dient dem andern, und dem Ganzen; und wenn ein jedes seine Schuldigkeit thut, ist dem ganzen Leibe wohl und alle Glieder haben Frieden. So ist die Kirche; so ist jede Gemeinde, denn jede Gemeinde trägt die Eigenschaften der ganzen Kirche. Eine Gemeinde sind wir nach Gottes heiligem Willen und Seiner gnädigen Vorsehung; so sind wir alle Glieder Eines Leibes, berufen zum gemeinsamen Besten zu arbeiten und uns ein- und unter zu ordnen mit unsrer Gabe und unsrer Leistung. Da soll weder Neid noch Streit regieren, sondern der Friede Christi. Weil Christus im Himmel Frieden gemacht hat, so sind alle Seine Schafe von der Ueberzeugung durchdrungen, daß auch unter ihnen auf Erden Frieden sein müße. Aus dem Allen gemeinsamen Frieden Gottes in Christo Jesu fließt die selige Eintracht und die süße Nöthigung des Geistes Gottes zu derselben; die Erinnerung an den, im Himmel gestifteten Frieden gibt den Ausschlag bei jeder Uneinigkeit, jedem Streit auf Erden. Wo sich Streit erhebt, zeigt der Friede Gottes, daß die Gemeinde zum Frieden berufen ist, und daß nur die Friedfertigen im Kampfe des Lebens zum verheißenen Ziel und Kleinod gelangen. Friedensgründe herrschen, Friedfertigkeit wird Zeichen der Gotteskinder. Wer einmal recht weiß, was für eine Ruhe er im Frieden Gottes hat, der hat und bekommt an ihm auch einen Meister seiner Werke, einen Regierer aller seiner Thaten. Da wird der Friede wie ein Cherub, der die Gemeine Gottes bei ihrem Gang durch die Rotten Belials bewahrt zum ewigen Leben.

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 Vertragsamkeit, Liebe, Friede: drei Stufen an der Leiter unseres Textes. Diese drei zeigen den Wandel des Christen im gewöhnlichen, alltäglichen Leben. Gegenüber demjenigen, was wir alle Tage in der Welt bemerken können, ist das allerdings schon eitel Seelensabbath und hohes feierliches Leben; aber im Vergleiche zu dem köstlichen Leben der Andacht, welches uns der Apostel von nun an in unsrem Texte zeigt, können wir doch den Inhalt der bereits betrachteten Textesverse wie Mühe und Arbeit des täglichen Lebens, den Inhalt der nun folgenden Verse aber wie ein heiliges, gottesdienstliches Leben, wie Sonntagsfeier und Festesfreude nehmen. Der 16. Vers unseres Textescapitels zusammen mit den letzten Worten des 15., zeigt uns das reiche, gottesdienstliche Leben der apostolischen Gemeinden. Aller Gottesdienst ist entweder Gottes Wort oder Auffaßung und Aneignung desselbigen, oder er ist Opferdienst, nicht daß wir Versöhnopfer brächten, was

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/138&oldid=- (Version vom 1.8.2018)