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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Haupt – wer wird sich die wünschen? Sie können nicht wohl thun, sie müßen schmerzlich wehe thun. Dazu heißt es: Kohlen aufs Haupt sammeln, häufen, wie eine glühende Last, die sich immer mehr erhitzt und die Schmerzen des Hauptes also nothwendig immer empfindlicher machen muß. Wenn also gleich die Feindesliebe dem Feinde nur Wolthaten erweist, so werden die Wolthaten dennoch mit feurigen, brennenden Kohlen verglichen, und die Wolthaten verursachen also Schmerzen. Sie sind und bleiben Wolthaten, die unter andern Umständen keineswegs schmerzen, dem aber Schmerzen bereiten sollen, der sie als Feind aus der Hand der Feindesliebe empfängt. Die Schmerzen, welche die Wolthat verursacht, sind von Gott gewollt, gewollt zu einer heiligen Absicht, um der Rettung willen des Menschen, über welchen sie kommt. Wie die Kohlen nicht auf die Hand, sondern aufs Haupt gedacht werden, so sollen auch die Wolthaten der Feindesliebe dem ungebeugten Feindeshaupte Schmerzen verursachen, nemlich Schmerzen des reuevollen Andenkens und bitteren bußfertigen Ueberlegens und Insichgehens. Die Wolthaten, die dem Feinde zukommen, müßen ihm unwiderstehliche Beweise gegen den satanischen Irrtum sein, in dem er gefangen war, nemlich den als Feind behandelt zu haben, der sich doch als treuster Freund und hingebendster Versorger und Pfleger erweist, den Hungernden speist, den Dürstenden tränkt. Eine solche gewaltige Zurechtweisung soll nach des HErrn Verheißung auch auf den eine Wirkung ausüben, der eines harten Herzens ist. Selbst wenn er sich die Last der glühenden Kohlen umsonst brennen und schmerzen läßt, so soll doch in seinem Herzen die Feindesliebe in ihrer Glorie offenbart und der Mensch vor seinen Augen gerechtfertigt werden, welcher sie erweist. Die Wolthaten der Feindesliebe sollen wo möglich ein rettendes Zeugnis, wenn aber das nicht, so doch ein Zeugnis über und wider das harte Herz ablegen, dem sie erwiesen werden. Das werden sie auch, denn sie sollen es nach Gottes Wort, und die feurige Sprache der Feindesliebe soll und muß verstanden werden von allen, denen sie ein Christ erweist. Ob das Herz bricht, auf deßen Haupte die Kohlen brennen, das ist eine andre Frage; ob der Mensch den Feuerzeichen Gehorsam leistet oder nicht, das ist seine Sache; aber deutlich, mit feuriger Schrift, unwiderstehlich wirkt jedenfalls die edle Feindesliebe auch auf ein hartes Herz. Das verheißt Gott, und der reine Wille der Heiligen Gottes ergreift die Verheißung und drängt nach demselben Ziele. Die Feindesliebe thut allerdings sich selbst eine Genüge, indem sie den Feind speist und tränkt; aber sie gibt sich mit dieser Genüge nicht selbstsüchtig zufrieden, sondern sie will mehr, eben weil sie eine wahre Liebe ist, und darum Einwirkung auf andre und Verbindung mit andern sucht. Sie will retten, und im Fall sie nicht retten kann, so will sie doch den Rettungsversuch machen und wo möglich dem Satan die Seele des Feindes entreißen; da das ohne Buße nicht sein kann, und die Buße nicht ohne Schmerzen, so will die Liebe auch die Schmerzen deßen, den sie liebt, und scheut die Mittel nicht, sie hervor zu rufen. Die Mittel aber sind ja eben Wolthaten, nicht Schwerter und Spieße, süße Liebesäußerungen, nicht Hohn und Spott, – und wenn nun diese wehe thun, hitzen und brennen, so kann man sich dabei desto eher beruhigen, theils weil die Hitze nicht in der Absicht liegt, theils weil die süße Labung und edle Wirkung, die rechte Folge der Wolthat, hernach kommt. – Da siehst du nun also die Feindesliebe absichtsvoll stehen, und gute Werke wirken; du siehst die Liebe in ihrer schönsten Gestalt, denn die absichtsvolle Liebe, wenn ihre Absicht groß und heilig ist, ist schöner als die absichtslose Liebe; diese ist nicht heiliger als jene, weil sie dem bloßen Triebe folgt, auch nicht einfältiger deshalb, weil sie gar nichts will als sich äußern, sondern eben weil sie nicht genug daran hat, sich selbst das Vergnügen zu machen, das in der Wolthat liegt, eben weil sie das Beste des Feindes so eifrig sucht, erweist sie sich als die heilige einfältige Tochter jener göttlichen Liebe, von welcher geschrieben steht: „Weißest du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?“.


 Erinnert ihr euch, meine lieben Brüder, wie unser Text begonnen hat? „Vergeltet Niemand Böses mit Bösem,“ und wie schließt er? „Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Der Schluß kehrt mit Nachdruck zum Anfang zurück, und wiederholt ihn in derjenigen Form, welche nach Darlegung einer vierfachen Stufe der Feindesliebe völlig gerechtfertigt erscheint. Wohl ist

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/123&oldid=- (Version vom 1.8.2018)