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daß sie noch weit verbreitet war. Und eben so offenbar ist es auch, daß, selbst wenn man die weite Verbreitung an sich für einen Vorzug erkennen wollte, die Kirche doch in diesem Stücke bei weitem von der Welt und der Schaar ihrer Kinder übertroffen würde, also den genannten Vorzug nicht allein hätte. Auch kann man ja behaupten, daß der Kirche in der h. Schrift selbst manchmal das Gegentheil einer weiten Verbreitung zugeschrieben werde, daß sie z. B. einem nur von wenigen gefundenen, schmalen Wege und einer kleinen Heerde verglichen werde. Daraus geht doch jeden Falls so viel hervor, daß die Kirche klein sein könne, nicht nothwendig groß sein müße, daß also eine weite Ausbreitung jeden Falls kein wahres Kennzeichen derselben sein könne.

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 Wenn übrigens unsre römischen Gegner den Vorzug einer weiten Ausbreitung zu Gunsten ihrer Particularkirche anwenden; so wollen sie sich selbst nicht mit der Zahl der außerchristlichen Religionsparteien meßen, die noch heute, wie im Anfang, die Zahl aller christlichen Particularkirchen zusammen übertreffen. Auch ist es nicht ihre Absicht, sich mit der Gesammtzahl aller von ihnen gesonderten Particularkirchen zu vergleichen; das ist ihnen selbst bekannt, daß sie auch bei dieser Vergleichung den Kürzeren ziehen würden. Sie wollen im Grunde nur sagen, sie seien weiter verbreitet, als jede andere Particularkirche. Nun wäre es freilich ein feiner Ruhm, wenn die römische Kirche bei der überwiegenden Zahl auch die überwiegende Wahrheit hätte. Ja, die Mehrzahl der Bekenner würde ein Wunder Gottes sein, durch welches der wahren Lehre und Kirche ein stärkeres Zeugnis zugienge, als durch alle andern Wunder der Propheten und Apostel. Aber das ists eben, was den Beweis vernichtet, daß die römische Kirche nicht apostolisch, nicht schriftgemäß ist und daß damit alles andere werthlos wird, was sie etwa zu ihrem Ruhm anführen könnte. Oder was ist die Mehrzahl der Bekenner auf Seiten der Römischen bei der Schriftwidrigkeit ihrer Lehre weiter, als ein Beweis mehr, daß das Menschenherz sich gerne auf die unreine Seite schlägt, daß nicht auf dem breiten Wege das Heil, nicht bei dem großen Haufen die Wahrheit zu finden