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allen Richtungen, Berg und Tal wurden durchstreift; aber keine Spur hatte sich gefunden. Sie war eben ganz fassungslos vor Aufregung, da hörte sie, ihr Sohn sei wieder da. Hocherfreut ging sie ihm entgegen. Wie sie aufblickte, sah sie die Frau. Vor Schreck wäre sie beinahe umgefallen. Ihr Sohn erzählte ihr seine Erlebnisse, und die Mutter war froh, sie wiederzuhaben.

Edelweiß aber fürchtete, ihre seltsamen Schicksale würden das Gerede der Leute erregen. So bat sie die Mutter, an einen andern Ort zu ziehen. Die wars zufrieden, und sie zogen um. Kein Mensch erfuhr von der Sache. Achtzehn Jahre wohnten sie friedlich beisammen, da starb die Mutter.

Edelweiß sprach zu ihrem Mann: „In meiner Heimat ist eine Wiese, da lebt ein Fasan, der acht Eier brütet. Dort wollen wir sie begraben. Unser Sohn ist nun schon erwachsen. Wir brauchen nicht wiederzukehren.“ Ihr Mann war einverstanden. Nach dem Begräbnis schickten sie den Sohn allein zurück. – Als er aber nach einem Monat wiederkam und nach seinen Eltern sah, da waren beide verschwunden.


99. Das Heimweh

Yüo Dschung war aus Sianfu. Sein Vater starb früh. Er kam nach dessen Tode zur Welt. Die Mutter war Buddha ergeben, aß nichts Unreines und trank keinen Wein. Als ihr Sohn heranwuchs, liebte er den Trunk und fröhliche Unterhaltung. Im stillen mißbilligte er die Art seiner Mutter. Häufig brachte er ihr fette und süße Speisen und suchte sie zum Essen zu überreden; aber stets schickte ihn die Mutter weg. Später wurde die Mutter krank. Er wartete ihrer aufs beste. Sie bekam ein Gelüsten nach Fleisch. Der Sohn war in Verlegenheit, Fleisch zu finden; so schnitt

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_342.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)