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Der Jüngling erriet seine Gedanken und sprach zu ihm: „Ihr habt noch immer keine Frau. Früh und spät muß ich dran denken, wie ich Euch eine hübsche Lebensgefährtin verschaffen kann. Hiang-Nu ist die Dienerin meines alten Herrn, die kann ich Euch nicht geben.“

Kung sprach: „Ich danke Euch für Eure Freundlichkeit. Aber wenn sie nicht ebenso schön ist wie Hiang-Nu, dann will ich lieber keine.“

Der Jüngling lachte: „Ihr seid doch noch recht unerfahren,“ sagte er, „daß Ihr die für schön haltet. Euer Wunsch ist leicht zu erfüllen.“

So verging ein halbes Jahr, und es war eben die dumpfe Regenzeit gekommen. Da entstand auf der Brust des jungen Kung eine Geschwulst so groß wie ein Pfirsich, die über Nacht zur Größe einer Tasse anwuchs. Stöhnend vor Schmerzen lag er da und konnte weder essen noch schlafen. Der Jüngling war Tag und Nacht mit seiner Pflege beschäftigt, und auch der alte Herr erkundigte sich nach seinem Befinden.

Da sprach der Jüngling: „Diese Krankheit kann nur das Schwesterchen Giauna heilen. Schick’ doch bitte hin zur Großmutter, um sie zu holen!“

Der alte Herr war einverstanden und schickte seinen Knaben weg.

Am andern Tag kam der Knabe wieder zurück mit der Nachricht: „Giauna wird kommen. Die Tante und die Base A-Sung kommen mit.“

Kurz darauf führte der Jüngling die Schwester herein. Sie war ungefähr dreizehn oder vierzehn Jahre alt, von berückender Schönheit und schlank wie eine Weide. Als der Kranke sie sah, da hatte er alle Schmerzen vergessen und wurde munter im Geist.

Der Jüngling sprach zu seiner Schwester Giauna: „Dies ist mein bester Freund, den ich wie einen Bruder liebe. Ich bitte dich, Schwesterchen, seine Krankheit zu heilen!“

Das Mädchen errötete verlegen; dann trat sie an das

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_301.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)