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Der kam in ärmlichem Gewand, Yang Su zu sehen und ihm einen Plan zur Beruhigung des Reiches zu überreichen.

Er machte eine tiefe Verbeugung, die jener nicht erwiderte, dann sprach er: „Das Reich ist im Begriff, in Wirren zu geraten, und allenthalben stehen Helden auf. Ihr seid der höchste Diener des kaiserlichen Hauses; Eure Pflicht wäre es, die Tapferen um den Thron zu scharen. Ihr solltet nicht die Leute durch Euren Hochmut abstoßen.“

Als Yang Su das hörte, da nahm er sich zusammen und erhob sich von seinem Platz und sprach leutselig mit ihm.

Li Dsing überreichte ein Schriftstück, und er ließ sich mit ihm über alles mögliche ins Gespräch ein. Eine Dienerin von außerordentlicher Schönheit stand daneben. Sie hielt einen roten Wedel in der Hand und blickte unverwandt auf Li Dsing. Der verabschiedete sich und ging in die Herberge zurück.

Um Mitternacht hörte er an die Tür klopfen. Er sah hinaus; da stand jemand in Hut und purpurnem Gewande vor der Tür, der trug an einem Stock einen Sack über der Schulter.

Er fragte, wer er sei, und erhielt die Antwort: „Ich bin die Wedelträgerin des Yang Su.“

Darauf trat sie ins Zimmer, zog die Überkleider aus und ihren Hut. Da sah er, daß es ein schönes Mädchen von achtzehn, neunzehn Jahren war.

Sie neigte sich vor ihm, und als er ihren Gruß erwiderte, da hob sie an: „Ich bin schon lange im Hause Yang Su’s und habe schon viel berühmte Leute gesehen, aber keinen, der Euch gleich käme. Ich will Euch dienen, wohin Ihr geht.“

Li Dsing erwiderte: „Der Minister ist mächtig. Ich fürchte, wir stürzen uns ins Unglück.“

„Er ist ein Leichnam, in dem noch ein wenig Atem übrig ist,“ sagte das Wedelmädchen, „den braucht man nicht zu fürchten.“

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_260.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)