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ihr Haar hing wild zerzaust den Nacken herab, blutunterlaufen starrten ihre Augen, die Zunge hing weit aus dem Munde hervor. Sie streckte ihre beiden Hände aus und wollte ihn fassen. Der Soldat schlug mit geballter Faust nach ihr. Aus Versehen schlug er sich dabei selbst an die Nase, so daß das Blut heruntertropfte. Er spritzte einige Tropfen Blut nach ihr, und weil die Geister Menschenblut nicht leiden mögen, so ließ sie ab von ihm, stellte sich einige Schritte von ihm auf und begann zu fluchen. So dauerte es eine gute Weile, bis der Hahn im Dorfe krähte. Da verschwand das Gespenst.

Inzwischen hatten auch die Bauern vom Dorf ihn gesucht, um ihm zu danken. Nachdem er nämlich die gerettete Frau verlassen hatte, war deren Mann nach Hause gekommen und fragte seine Frau über das Geschehene aus. Da erst erfuhr er, was sich zugetragen hatte. Die Nachbarn, die die Frau weinen hörten, versammelten sich vor ihrem Hause. So machten sie sich miteinander auf den Weg, um den Soldaten vor dem Dorfe zu suchen. Sie fanden ihn, wie er noch immer mit den Fäusten in der Luft herumfuchtelte und heftig redete. Da riefen sie ihn an, und er erzählte, was ihm begegnet. An seinem nackten Arme sah man noch den Strick; doch war er an dem Arme angewachsen und umgab ihn als ein roter Ring von Fleisch.

Eben dämmerte der Morgen. Er schwang sich auf sein Pferd und trabte davon.


67. Gespenstergeschichten

Wenn ein Mensch stirbt, so legt man den Leichnam zunächst auf das Bett, mit dem Gesicht nach oben. Man zieht ihm neue Kleider an und legt ihm eine Hirseähre zu Häupten und ein Pflugmesser auf die Brust, damit der Leichnam nicht aufsteht. Dennoch hört man zuweilen, daß ein

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_201.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)