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der Blumenterrasse. Der Knabe fürchtete, sie könnten davonfliegen, und rief ihnen mehrmals. Die Tauben rührten sich nicht. Der Knabe wußte sich nicht zu helfen; er hob Steine auf und warf nach ihnen. Aus Versehen traf er den alten Wang. Der Alte erschrak, glitt aus und fiel über die Terrasse herunter. Die Zeit verstrich, und er richtete sich nicht auf. Mit ausgestreckten Beinen lag er da. Der Knabe erschrak aufs äußerste. Ohne einen Laut von sich zu geben, schloß er leise das Fenster und ging. Die Sonne stieg allmählich höher, und die Söhne und Enkel kamen alle, den Alten zu suchen. Sie fanden ihn und sprachen: „Er ist ausgeglitten und hat sich zu Tode gefallen.“ Und sie begruben ihn, wie es der Brauch war.


65. Der Geisterseher

Es war einmal ein Mann, der mit einigen neugierigen Freunden zusammen Klopfgeister rief. Eines Tages hatte sich ein berühmter Doktor aus dem Mittelalter eingestellt. Aber die Reden, die er führte, waren roh und ungebildet, und seine Gedichte reimten sich nicht recht. Er war auch immer gleich zur Stelle, wenn man ihn rief.

Einmal, als sie mitten im Fragen und Antworten waren, gab er den Spruch: „Ich will gehen.“ Sie fragten wohin. Da hieß es: „Die Familie Tsiän hat mich zum Essen geladen.“ Darauf schwieg die Platte. Die Familie wohnte in der Nähe. Die Freunde waren neugierig; darum gingen sie hin, um sich nach der Sache zu erkundigen. Da hörten sie, daß man dort wegen eines Krankheitsfalles Opfer dargebracht hatte.

Tags darauf kam der Geist wieder. Man fragte ihn: „Warst du bei den Leuten zum Essen?“

„Ja“, kam es heraus.

„War es gut?“

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_194.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)