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62. Der Scherge

In einer Stadt in der Nähe der Kiautschoubucht war einmal ein Scherge namens Dung. Als er eines Tages von der Suche nach Dieben zurückkam, war die Dämmerung schon hereingebrochen. Ehe er den Fluß bei der Stadt durchwatete, setzte er sich am Ufer nieder, steckte sich ein Pfeife an und zog die Schuhe aus. Als er aufsah, erblickte er plötzlich einen Mann mit rotem Hut, in der Kleidung eines Schergen, der neben ihm kauerte.

Erstaunt fragte er ihn: „Wer bist du denn? Deiner Kleidung nach gehörst du auch zu unserem Beruf; aber ich habe dich in unserem Kreise noch nie gesehen. Erzähle bitte, wo du herkommst!“

Der andere sprach: „Ich bin von langer Reise müde und möchte mit dir zusammen eine Pfeife Tabak genießen. Ich denke, du wirst nichts dagegen haben.“

Dung reichte ihm Tabak und Pfeife.

Er aber sprach: „Das ist nicht nötig. Rauch du nur! Mir ists genug, wenn ichs rieche.“

So plauderten sie eine Weile miteinander und gingen zusammen durch den Fluß. Sie wurden mählich vertrauter, und der andere sprach: „Ich will dirs offen heraussagen, ich bin der oberste der Schergen der Unterwelt und stehe unter dem Gott des Großen Berges. Du bist auf der Oberwelt ein Scherge von Ruf. Ich kann mich mit meiner Geschicklichkeit in der Unterwelt wohl sehen lassen. Da wir so gut zueinander passen, möchte ich Brüderschaft mit dir schließen.“

Dung wars zufrieden und fragte: „Was führt dich eigentlich hierher?“

Der andere sprach: „In eurem Kreise wohnt einer namens Wang, der war früher Vorsteher des Getreidewesens und hat damals einen Offizier zum Tode gebracht. Der

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_184.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)