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vor ihr und bat um Urlaub, um nach den Meinen zu sehen. Ein Monat ward mir gewährt. Am andern Tage entließ sie mich mit einem reichen Gefolge. Vor der Stadt war ein Pavillon errichtet, um mir den Abschiedstrunk darzubringen. So ritt ich weg, und als ich vor unserem Tore ankam, ertönte krachend ein Donnerschlag, und ich erwachte.“

Darauf schrieb der Feldherr einen Bericht an Dschou Bau, in dem er den Dank der Prinzessin übermittelte. Er kümmerte sich von da ab nicht mehr um die Weltgeschäfte, sondern bestellte sein Haus und übergab es seiner Frau und seinem Sohn. Als ein Monat vorüber war, starb er ohne Krankheit.

An jenem Tage war einer seiner Offiziere unterwegs. Plötzlich sah er, wie eine dichte Staubwolke aufwirbelte und Flaggen und Fahnen die Sonne verdunkelten. Tausend Ritter gaben einem Manne das Geleite, der stolz und heldenhaft zu Pferde saß. Als er ihm ins Gesicht sah, war es der Feldherr Dschong Tschong-Fu. Eilig trat er an den Rand der Straße, um Platz zu machen, da sah er den Zug vorüberreiten. Sie ritten nach dem Mädchensee, wo sie verschwanden.


55. Die verstossene Prinzessin

Zur Tangzeit lebte ein Mann namens Liu I, der war in seiner Doktorprüfung durchgefallen. So reiste er wieder nach Hause zurück. Sechs, sieben Meilen hatte er hinter sich, da flog im Feld ein Vogel auf. Sein Pferd ward scheu und rannte über zehn Meilen weit, ehe es sich halten ließ. Da sah er eine Frau, die hütete Schafe am Abhang eines Berges. Er blickte sie an; sie war wunderschön von Angesicht, doch drückten ihre Mienen geheimen Kummer aus. Verwundert fragte er sie, was ihr fehle.

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_161.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)