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Von der Königin-Mutter des Westens heißt es, sie trage wirre Haare, habe einen Vogelschnabel, Tigerzähne und sei geschickt im Flöten. Doch ist das nicht ihre wahre Gestalt, sondern nur ein dienender Geist, der über den westlichen Himmel waltet. Den König Mu bewirtete sie in ihrem Schloß an der Jaspisquelle. Sie gab ihm von dem Felsenmark zu trinken und speiste ihn mit den Früchten der Jaspisbäume. Dann sang sie ihm ein Lied und lehrte ihn einen Zauber, durch den man langes Leben erreicht. Die Königin-Mutter des Westens versammelt um sich die Unsterblichen, die sie mit den Pfirsichen des langen Lebens bewirtet; die kommen dann herbei auf Wagen mit purpurnen Baldachinen, die von fliegenden Drachen gezogen werden. Gewöhnliche Sterbliche versinken im Schwachen Wasser, wenn sie hinüberwollen. Dem König Mu dagegen war sie wohlgesinnt.

Als er von ihr schied, da kam er noch an den Ort, wo die Sonne einkehrt, die täglich dreitausend Meilen läuft. Dann kehrte er zurück in sein Reich.

Als er hundert Jahre alt geworden war, da nahte sich die Königin-Mutter des Westens seinem Palast und führte ihn mit sich in die Wolken.

Seit jenem Tag ward er nicht mehr gesehen.


39. Weibertreu
(Dschuang Dsï und seine Frau)

Es war einmal ein großer Gelehrter, der hieß Dschuang Dsï. Er ging zu Laotse in die Lehre. Einst schlief er bei Tage ein; da träumte ihm, er sei ein Schmetterling und flattere zwischen den Bäumen und Blumen des Gartens umher in ungetrübter Freude. Er erzählte diesen Traum dem Laotse.

Der sprach zu ihm: „Im Anfang, als die Welt entstand, warst du ein weißer Schmetterling. Der fand den Sinn und

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_093.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)