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versah, war ich schon hier. Dies Pferd kann den Sonnenschatten einholen. Als ich es fand, war es ganz mager und traurig wie ein alter Esel. Da mähte ich das Gras vom Glückswolkenland, das alle zweitausend Jahre einmal am Neunquellenberge wächst, und fütterte das Pferd damit, so wurde es wieder munter.“

Der Kaiser fragte, was denn das Glückswolkenland sei. Morgenhimmel erwiderte: „Dort ist ein großer Sumpf. Die Leute weissagen aus Luft und Wolken Glück und Unglück. Steht in einem Hause Glück bevor, so bilden sich in den Zimmern fünffarbene Wolken, die lassen sich auf Gras und Bäumen nieder und werden zu farbigem Tau. Der Tau schmeckt süß wie Most.“

Der Kaiser fragte, ob er von diesem Tau bekommen könne. Morgenhimmel sprach: „Auf meinem Roß kann ich in einem Tage viermal hin.“

Und richtig war er am Abend wieder da und brachte Tau von allen Farben in einer kristallnen Flasche mit. Der Kaiser trank davon, da wurden seine Haare wieder schwarz. Er gab seinen höchsten Beamten davon, da wurden die Alten wieder jung und die Kranken wieder gesund.

Als einst ein Komet am Himmel erschien, da gab Morgenhimmel dem Kaiser das Sterndeuteholz. Der Kaiser deutete mit dem Holz nach dem Kometen, da erlosch er.

Morgenhimmel konnte sehr gut pfeifen. So oft er in langgezogenen, vollen Tönen pfiff, tanzten die Sonnenstäubchen nach seinem Pfeifen.

Er sagte auch einmal zu einem Freunde: „Kein Mensch weiß, wer ich bin, außer dem Sterndeuter.“

Als Morgenhimmel gestorben war, berief der Kaiser den Sterndeuter und fragte: „Kanntest du Morgenhimmel?“

Der sagte: „Nein.“

Der Kaiser fragte: „Was verstehst du denn?“

Der Sterndeuter sagte: „Ich kann nach den Sternen sehen.“

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_089.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)