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Windhalter, heißt es, war ein Riese. Das ist ein Knochen von ihm.“

Als der Tod des Konfuzius herannahte, da fing der Fürst von Lu auf der Jagd ein Kilin, und man tötete es. Dem Kilin, das bei des Konfuzius Geburt erschienen war, hatte seine Mutter einen roten Faden um das Horn gebunden. Das tote Kilin hatte diesen Faden noch immer am Horn.

Als Konfuzius davon hörte, brach er in Tränen aus: „Meine Lehre hat keinen Erfolg! Was tust du da? Ich werde sterben müssen.“

Denn das Kilin zeigt sich nur, wenn ein großer Mann auf Erden ist. Um jene Zeit schrieb Konfuzius gerade an seinem Buch: „Von Blüte und Untergang der Staaten.“ Mit diesem Ereignis legte er die Feder weg und schrieb nicht weiter.

Auch träumte ihm, er sitze in einem Tempel zwischen zwei Mittelpfeilern. Da sagte er zu seinen Jüngern: „Ich werde sterben müssen.“ Dann dichtete er ein Lied:

Es stürzt der Große Berg,
Es bricht des Daches First;
Der Weise fährt dahin.

Danach legte er sich zu Bett, ward krank und starb.

So wußte er nicht nur, was während seines Lebens vor sich ging, sondern auch, was nach seinem Tode kam. Der Traum, daß er sich selbst im Tempel sitzen sah zwischen den zwei Hauptpfeilern, war eine Weissagung der Verehrung, die ihm in späteren Jahrhunderten zuteil ward.

Aber auch nach seinem Tode noch gab er Beweise von seiner Allwissenheit. Als einst der böse Kaiser Tsin Schï Huang alle andern Staaten unterjocht hatte und das ganze Reich durchzog, da kam er auch nach der Heimat des Konfuzius. Da kam er an sein Grab. Er wollte es öffnen lassen und sehen, was darin sei. Alle seine Beamten rieten ihm ab, aber er hörte nicht auf sie. So wurde denn ein Gang hineingegraben, und man traf in der Hauptkammer auf den Sarg. Das Holz schien noch ganz neu zu sein. Wenn man

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_059.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)