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Bei der Aufstellung der Naturgesetze muß man jedoch solche unterscheiden, die nur eine Erweiterung und Verallgemeinerung der bekannten Gesetze bilden und solche, bei denen bisherige einfache Voraussetzungen aufgegeben werden müssen. Von der ersten Art ist das Gesetz von der Erhaltung der Energie, von der zweiten der zweite Hauptsatz der Wärmelehre. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie war seit der Aufstellung des Begriffs der lebendigen Kraft durch Leibniz für die Mechanik bekannt und die Leistungen von Robert Mayer, Helmholtz und Joule bestanden darin, die Gültigkeit des Satzes über die gewöhnliche Mechanik hinaus zu beweisen und sie auf die ganze Physik auszudehnen. Wenn auch die Einsicht gewonnen wurde, daß das perpetuum mobile, die Möglichkeit Energie ohne Zufuhr unbeschränkt zu verbrauchen, ausgeschlossen sei, so war doch nichts von dem aufzugeben, was bisher an physikalischer Erkenntnis gewonnen war und an physikalischen Grundlagen gesichert schien.

Anders lag es beim zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmelehre. Die Behauptung der Unmöglichkeit des perpetuum mobile zweiter Art, durch welches man unbeschränkt die Wärmeenergie in nutzbare Arbeit umsetzen könnte, schien zunächst etwas ganz ähnliches auszusagen, wie das Gesetz von der Erhaltung der Energie. Die nähere Untersuchung zeigte aber, daß der zweite Hauptsatz, der die Möglichkeit des perpetuum mobile zweiter Art ausschließt, solche Vorgänge einführt, die man als nicht umkehrbar bezeichnet. Die Umkehrbarkeit der Zeit in allen physikalischen Vorgängen war aber einer der allgemeinsten Grundsätze der ganzen Physik, einschließlich der elektromagnetischen Vorgänge, gewesen. Wenn später die Nichtumkehrbarkeit auf die Unregelmäßigkeit der Molekularbewegungen zurückgeführt und an Stelle der strengen Kausalität die Statistik[1] in die Physik eingeführt wurde, so schien das vielen als eine Preisgabe der wichtigsten physikalischen Grundsätze zu sein und strenge Erkenntnistheoretiker wie Mach haben die statistischen Methoden überhaupt abgelehnt.

Wenn eine neue Theorie die Preisgabe bisheriger Grundsätze verlangt, so wird immer die Frage aufzuwerfen sein, ob der


  1. [32] 3) Daß der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärmelehre nur durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung abgeleitet werden kann, ist von Boltzmann gezeigt. (Über die Beziehung zwischen dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie und der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wiener Berichte 11. Oktober 1877.) Die Bezeichnung statistische Mechanik rührt von W. Gibbs her.
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Wilhelm Wien: Die Relativitätstheorie vom Standpunkte der Physik und Erkenntnislehre. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1921, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienRel.djvu/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)