strenge Gültigkeit und würde nicht als erste Näherung an die Wirklichkeit angesehen werden können. Denn man wird ohne weiteres zugeben, daß ein angenähert gültiges Relativitätsprinzip absurd ist. Sit ut est aut non sit kann man auch vom Relativitätsprinzip behaupten. Die bisherige Übereinstimmung mit der Erfahrung hat dem Prinzip fast allgemeine Anerkennung verschafft. Daß man den Einfluß der Bewegung allgemein durch die Relativitätstheorie ableiten kann, ist auch sicherlich eine anerkennenswerte Leistung.
Trotzdem darf nicht verschwiegen werden, daß mit der Relativitätstheorie mancher früher möglich erscheinende Ausblick verschlossen ist. Die Lichtgeschwindigkeit, mit der sich die elektromagnetischen Wellen im Raum fortpflanzen, ist der Zurückführung auf andere beobachtbare Größen endgültig entzogen. Der Äther, welcher als Träger der elektromagnetischen Wellen zu gelten hatte, erscheint ausgeschaltet. Es sollen sich abstrakte Größen, wie elektrische oder magnetische Kräfte mit Lichtgeschwindigkeit im Raum fortbewegen. Es scheint mir sehr fraglich ob hiermit das letzte Wort gesprochen wurde. Die Neigung den Äther wieder einzuführen ist durch die Theorie der Strahlung wieder wachgerufen. Ist aber einmal der Äther wieder da, so werden Zweifel, ob nicht doch eine Bewegung relativ zu ihm physikalische Bedeutung hat, nicht zum Verschwinden zu bringen sein.
Wenn indessen die spezielle Relativitätstheorie allgemein in die Wissenschaft eingeführt wurde, so ist um die sogenannte allgemeine Relativitätstheorie ein Streit entbrannt, wie er in der Geschichte der Wissenschaften wohl noch nicht vorgekommen ist. Der Kampf hat den wissenschaftlichen Boden ganz verlassen und ist ins politische und dogmatische Gebiet übertragen worden, wobei naturgemäß die bei solchen Streitigkeiten sich einstellende Erbitterung nicht gefehlt hat. Man kann sowohl Anhängern wie Gegnern dieser Relativitätstheorie den Vorwurf nicht ersparen, daß sie die Auseinandersetzung nicht auf rein wissenschaftlicher Grundlage durchgeführt sondern den Meinungsstreit vor ein Forum gebracht haben, das nicht im entferntesten in der Lage sein konnte sich über diese, selbst den meisten Physikern nicht geläufigen Fragen ein Urteil zu bilden.
Wilhelm Wien: Die Relativitätstheorie vom Standpunkte der Physik und Erkenntnislehre. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1921, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WienRel.djvu/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)