Seite:Was die Heimat erzählt (Störzner) 359.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
151. Gräfenhain.

Zwischen Königsbrück und dem mit Schwarzwald bedeckten Keulen- oder Augustusberge liegt das schmucke Dorf Gräfenhain. Mit seinem westlichen Fuße berührt der Berg die Gräfenhainer Flur, auf der noch 1850 Tausende und Abertausende von größeren und kleineren Granitblöcken wirr durcheinanderlagen. Wir treffen auch heute noch viele dieser Gesellen bei einer Wanderung durch diese Gegend an, obgleich die Bewohner Gräfenhains seit Jahrzehnten eifrig bestrebt gewesen sind, ihre Grundstücke von jenen Felsblöcken zu säubern. Man versuchte sie wegzuwälzen und teils auf den Rainen, teils auf beiden Seiten der Feldwege, Mauern gleich, aufzuhäufen. Größere Steinblöcke wurden von Steinarbeitern gesprengt, gespalten und zu Säulen und Platten bearbeitet, die dann als gesuchtes und geschätztes Baumaterial ihre Reise in die Welt antraten. So hat sich in dieser Gegend eine schwunghafte Granitsteinindustrie entwickelt, und Hunderte von fleißigen Menschen sind in dieser Gegend in Steinbrüchen beschäftigt. – Die vielen Granitblöcke, welche die Fluren in der Umgegend des Keulenberges sonst bedeckten, erschwerten natürlich die Arbeit des Landmannes ganz bedeutend. Der Pflug stieß beim Bearbeiten des Feldes fortgesetzt auf hartnäckigen Widerstand, und nur mit Mühe und Not ermöglichte man doch noch die Erbauung des Heidekorns. Heute ist es nun bedeutend besser geworden. Eine wahre Kulturarbeit hat der Landmann durch seine zähe Ausdauer getan. Fruchttragende Felder hat er nach und nach dem sonst kargen und steinigten Erdreiche abgewonnen, aus einer früheren Wildnis eine fruchtbare Flur geschaffen, eine ehemalige Steinwüste in ein förmliches Gartenland umgewandelt. Gleiches geschah mit den Fluren der Dörfer Reichenau, Reichenbach, Lichtenau, Naundorf, Höckendorf. –

Woher aber kamen diese Tausende von Granitblöcken, die sonst die Fluren jener Dörfer deckten? Der Urheber war kein anderer als der Keulenberg, der so trotzig sein Haupt erhebt und wie im Uebermute auf jene Fluren niederschaut. Der Berg war vor Jahrtausenden ein gar unheimlicher Geselle. Damals war er um kein Haar besser als der Vesuv in Italien und der Aetna auf der Insel Sizilien. Der Keulenberg war in grauer Vorzeit ein Vulkan und zwar einer von der schlimmsten Sorte. Aufgetürmt aus dem Urgestein der Erde und kämpfend mit den Elementen, schleuderte er bei übler Laune aus dem Innern der Erde gewaltige Steinmassen empor und besäete damit in meilenweiter Runde seine Umgebung. Wochen hindurch schickte er auch glühenden Ascheregen aus und verhüllte sein Haupt, wie er es heute noch immer gern tut, wenn er die graue Nebelkappe aufgesetzt hat und den Umwohnern etwaige Witterungsänderung anzeigt. Himmelhohe Feuergarben schossen aus dem Berge empor und erhellten auf wenige Augenblicke eine wüste Landschaft, ein Steinmeer. Am meisten scheint aber die heutige Gräfenhainer Flur der Wut des unheimlichen Berges ausgesetzt gewesen zu sein, wie man aus der Unmenge jener daselbst umherliegenden Blöcke mit vollem Rechte schließen kann. – Schon längst hat der Keulenberg sich aber beruhigt, er ist zahm geworden und duldet es, daß die Menschen auf seinem Rücken umherklettern und sich daselbst tummeln. Der Kampf mit den Elementen ist schon lange zu Ende, in dem der Keulenberg seinen Platz trotzig behauptet hat. Aber noch heute beherrscht er die Königsbrücker Gegend.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_359.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)