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76. Wunderbare Rettung.

In früheren Jahren fanden manche Bewohner Großharthaus bei Bischofswerda Lohn und Brot in den Sandsteinbrüchen des Elbtales, wohin sie Montags früh wanderten und am Sonnabend in die Heimat zurückkehrten, um den Sonntag bei den Ihrigen zu verleben. Am 11. Mai 1829 durcheilte Großharthau eine Schreckensbotschaft. Drei Harthauer Bewohner, die ledigen Brüder Carl Zimmermann und Johann Gottlieb Zimmermann, ferner der verheiratete Hausbesitzer Richter, arbeiteten damals in den sogenannten weißen Brüchen oberhalb des Städtchens Wehlen. Seit Wochen hatten die Steinbrecher an der Hohlmachung einer mächtigen Sandsteinwand gearbeitet. Wider alles Erwarten aber und gegen die Berechnung der Arbeiter löste sich mitten in der Arbeit die betreffende Felswand unter donnerähnlichem Krachen und begrub sämtliche Steinbrecher unter sich, dreizehn an der Zahl, darunter auch die drei Steinbrecher aus Harthau. Weithin im Elbtale war der Donner vernommen worden, und mit Blitzesschnelle verbreitete sich die Nachricht von dem entsetzlichen Unglücke. Hilfreiche Menschen eilten in Scharen herbei, um die Verschütteten zu befreien. Fünf Tage hindurch arbeiteten die Retter unablässig an der Wegräumung der hohen Trümmermassen, aber man fand nichts weiter als furchtbar entstellte Leichen. Man gab jede Hoffnung, daß der eine oder andere von den Verunglückten noch am Leben sei, auf. Schon standen die Särge bereit, die Leiber der Unglücklichen aufzunehmen. Am 17. Mai nachmittags stießen die Retter auf eine Höhle, und plötzlich merkten dieselben, daß sich in dieser etwas Lebendiges rege. Fünf der Verschütteten waren noch am Leben, darunter der ältere der Gebrüder Zimmermann aus Harthau, Carl Zimmermann. Man zog sie heraus, und alle dankten mit Tränen in den Augen Gott für die wunderbare Rettung; denn durch ein wahres Wunder waren diese fünf Steinbrecher gerettet worden. Beim Einsturze der riesigen Felswand hatte es sich gefügt, daß diese an eben der Stelle, wo sich die fünf Geretteten befanden, eine Höhle bildete. „In dieser Höhle nun, in welche kein Strahl der Sonne, kein rettender Arm einzudringen vermochte, hatten diese Unglücklichen, in einem engen Raume zusammengedrängt, auf naßkaltem und hartem Felsengrunde, jeder wärmenden Bedeckung entbehrend und ohne auch nur Brot und Wasser zu ihrer Erhaltung zu haben, von Hunger, Durst und Frost gefoltert, umgeben von den Leichen ihrer erschlagenen Kameraden, sechs Tage und sechs Nächte qualvoll geschmachtet und an ihrer Erlösung bereits zu verzweifeln angefangen.“ –

Aus Verzweiflung hatten einige der Geretteten, um ihren furchtbaren Hunger zu stillen, Fleisch von dem Leichnam eines ihrer erschlagenen Mitarbeiter gegessen. Endlich sollte die Stunde der Errettung kommen. Der Kerker öffnete sich zu ihrer Befreiung. Vor Ermattung vermochten sie kaum aufrecht sich zu erhalten, und man brachte die Geretteten nach Stadt Wehlen in treue Pflege, wo sie nach einigen Wochen wieder soweit hergestellt waren, daß sie ihre Arbeit aufnehmen konnten. Von den furchtbaren Qualen, welche sie als Lebendigbegrabene in jener Höhle fast 7 Tage hindurch ausgestanden hatten, konnten sie nicht genug erzählen.

Unter den von der Felswand Erschlagenen befanden sich die beiden Harthauer Joh. Gottlieb Zimmermann und Richter. Der untröstliche Vater der Gebrüder Zimmermann war, nachdem er Kunde von dem entsetzlichen Unglücke erhalten hatte, sofort von Harthau nach Wehlen geeilt. Tage hindurch wohnte er den

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_184.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)