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56. Zwei Staatsgefangene in Stolpen.

Kurfürst Vater August, der von 1553 bis 1586 in Sachsen regierte, war ein strenger Lutheraner und darum auch bemüht, seinem Lande die reine evangelische Lehre zu erhalten. Auf dem Reichstage zu Augsburg im Jahre 1555, da der berühmte Religionsfriede zu stande kam, war er zwar nicht persönlich anwesend, er hatte aber treue und gewissenhafte Gesandte dahin abgeschickt. Zugegen war er aber auf dem im März 1555 zu Naumburg an der Saale abgehaltenen Fürstentage. Daselbst ermahnte Vater August die erschienenen Fürsten, bei der lutherischen Konfession treu zu verharren und vom damaligen Reichstage und dem Reichskammergerichte nichts zu dulden, was den Protestanten zum Nachteile sein könnte. Aber trotzdem, daß durch den Reichstagsbeschluß zu Augsburg die evangelische Kirche nach außen hin zum Frieden gelangt zu sein schien, wollte doch in ihrem eigenen Lager der Friede durchaus nicht gedeihen, da die „lutherischen Gottesgelehrten“ durch erbitterte Streitigkeiten sich bekämpften, wozu der zum Frieden so sehr geneigte Melanchthon wider Willen die nächste Veranlassung gegeben hatte. Melanchthon hatte nämlich, um den schroffen Gegensatz der Lutheraner und der Reformierten der Schweiz etwas zu mildern und womöglich eine Vereinigung beider Konfessionen anzubahnen, bereits im Jahre 1540 dem vom heiligen Abendmahle handelnden Artikel der Augsburgischen Konfession eine kleine Abänderung gegeben. Nach seinem Tode 1560 gingen seine Schüler und Anhänger in dieser Hinsicht immer weiter. Mehrere von ihnen hatten einflußreiche Ämter in Kursachsen und genossen beim Kurfürsten selbst großes Ansehen. Dieser war aber samt seiner Gemahlin, der Kurfürstin Mutter Anna, der reinen evangelisch-lutherischen Lehre so streng zugetan, daß er zu sagen pflegte: „Wenn ich eine einzige calvinistische Ader in mir haben sollte, so wünsche ich, daß der Teufel sie mir ausreißen möchte!“ – Daher sahen sich jene Männer genötigt, ihre den beiden Stiftern der reformierten Kirche, Zwingli und Calvin, verwandten Ansichten in Glaubenssachen streng geheimzuhalten. Sie wurden daher, besonders von den Theologen zu Jena, als „Krypto-Calvinisten“, d. h. heimliche Anhänger Calvin’s, bezeichnet. Doch gelang es den Krypto-Calvinisten, den Kurfürsten über ihre Glaubensansichten zu täuschen.

Auf Vater August folgte der Kurfürst Christian I. Dieser regierte von 1586–1591. Unter seiner Regierung entwickelte sich der begonnene Religionsstreit nur noch mehr. Die Krypto-Calvinisten waren jetzt eifrig bemüht, die lutherische Lehre zu verdrängen und die Einführung der reformierten oder calvinistischen Lehre durchzusetzen und zwar unter dem mächtigen Einflusse eines erklärten, eines eifrigen Calvinisten, des Kurfürstlichen Kanzlers Dr. Nicolaus Crell. Dieser war bereits vom Kurfürsten Vater August als Hofrat in der Landesregierung angestellt und im Jahre 1584 dem Kronprinzen Christian, der als Mitregent des Vaters eingesetzt war, als „ratender und helfender Mann“ zugeordnet worden. So trat denn Crell in ein vertrauteres Verhältnis zu Christian I. und wußte diesen so für sich einzunehmen, daß er im Jahre 1589 seinen bisherigen Kanzler, D. David Pfeifer, entließ und dafür D. Crell zum Geheimrat und Kanzler ernannte. Crell, der sich dem Kurfürsten Christian I. unentbehrlich zu machen wußte, riß bald alle weltliche und geistliche Gewalt an sich und waltete und schaltete ziemlich unumschränkt. So wußte er Einrichtungen aus der Zeit des Kurfürsten Vater August, die dazu gedient hatten, den Krypto-Calvinisten, entgegenzuwirken, einfach zu beseitigen.

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_123.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)