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53. Das ehemalige Amtshaus in Stolpen.

Dem Amtsgericht in Stolpen gegenüber liegt oben am Marktplatze das Haus Nr. 74. Dasselbe ist ein sehr altehrwürdiges Gebäude und hat geschichtliches Interesse, worauf schon über der Eingangstüre ein sehenswerter Wappenstein den Wanderer aufmerksam macht. Dieses Wappenbild trägt folgende Inschrift:

Churfürstl. Sächß. Freyheit.
HONI : SOIT : QVI : MAL : Y : PENSE :
1673.

Das Gebäude stellt das ehemalige Amtshaus dar, das viele Jahre hindurch dem Seifenfabrikanten und Stadtrat Hadra, dann dem Schnittwarenhändler Heckert, darauf dem Hypothekenbuchführer Leuner gehörte. Letzterer baute 1889 einen Laden ein. Bei dieser Gelegenheit mußte wegen der neuen Ladentüre ein an der Marktseite eingemauerter Wappenstein entfernt werden. Derselbe wurde im Hofe dieses Gebäudes aufbewahrt, wo er sicherlich allmählich in Vergessenheit geraten wäre. Die städtische Verwaltung machte aber den Besitzer darauf aufmerksam, und am 21. April 1890 wurde der denkwürdige Wappenstein wieder aus dem Hofe hervorgeholt und an der Marktseite des ehemaligen Amtshauses angebracht und zwar ungefähr an dem alten Platze, den er Jahrhunderte hindurch eingenommen hatte. Dieser Stein mit dem kursächsischen Wappen und der oben angeführten Inschrift weist darauf hin, daß dieses Haus ehemals im kurfürstlichen Besitze war. Kurfürst Johann Georg III. (1680–1691) hatte es 1691 angekauft und zwar, wie es in jener Kaufsurkunde wörtlich heißt, „zu Unserer mehrerer Bequemlichkeit und Abtritt, wenn Wir wegen des ziemlich hohen Berges nicht allemal bei Unserer Dahinkunft das Hoflager auf Unserem Schlosse nehmen sollten“. Dem kurfürstlichen Käufer wird das Amtshaus aber wohl kaum zu seinem Zwecke gedient haben, da er bereits am 12. September 1691 starb, also im Jahre des vollzogenen Kaufes. Doch seinen Nachfolgern, vor allen Dingen den Kurfürsten Johann Georg IV. (1691–1694) und Friedrich August I. (1694–1733), also August dem Starken, hat das Amtshaus manchmal als willkommenes Absteigequartier gedient, wenn sie auf der Reise nach Bautzen zur Erbhuldigung der Stände des Markgrafentumes Oberlausitz die Stadt Stolpen berührten, oder auch wenn sie hierher kamen, um im Stolpener Tiergarten mit Wildbretschießen sich zu „divertieren“. – Im Laufe der Zeiten hat das alte Amtshaus im Innern so manche bauliche Umänderung erfahren, während das Äußere trotz mancher Brände der Stadt so ziemlich dasselbe geblieben ist. Ursprünglich führte vom Markte aus durch das Haus ein mit Rundbogen gewölbter Torgang, von dem im Hofe noch das innere Tor erhalten ist. Über demselben befindet sich ein hochinteressanter Wappenstein ohne jede Inschrift.

Zu beiden Seiten des Durchganges lagen sonst saalähnliche Zimmer, die Expedition und die Wachtstube. Die Räumlichkeiten für die fürstlichen Personen befanden sich im oberen Gestock. Da hinauf führte eine steinerne Wendeltreppe. Dieselbe ist aber nicht mehr vorhanden. Sie hat einer geraden Steintreppe weichen müssen. Die Räumlichkeiten im oberen Stockwerk sind aber so ziemlich unverändert geblieben. Sie könnten uns aus der Glanzzeit Stolpens viel erzählen.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_118.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)