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Sinne einer zartsinnigen Individualität, die sich der Unmöglichkeit gegenüber ihre Ohnmacht eingesteht. Dies ist, wie wir sagten, der tragische Zug in Mendelssohns Erscheinung; und wenn wir auf dem Gebiete der Kunst an die reine Persönlichkeit unsre Theilnahme verschenken wollten, so dürften wir sie Mendelssohn in starkem Maße nicht versagen, selbst wenn die Kraft dieser Theilnahme durch die Beachtung geschwächt würde, daß das Tragische seiner Situation Mendelssohn mehr anhing, als es ihm zum wirklichen, schmerzlichen und läuternden Bewußtsein kam.

Eine ähnliche Theilnahme vermag aber kein anderer jüdischer Componist uns zu erwecken. Ein weit und breit berühmter jüdischer Tonsetzer[WS 1] unsrer Tage hat sich mit seinen Productionen einem Theile unsrer Oeffentlichkeit zugewendet, in welchem die Verwirrung alles musikalischen Geschmackes von ihm weniger erst zu veranstalten, als nur noch auszubeuten war. Das Publicum unsrer heutigen Operntheater ist seit längerer Zeit nach und nach gänzlich von den Anforderungen abgebracht worden, welche nicht etwa an das dramatische Kunstwerk selbst, sondern überhaupt an Werke des guten Geschmackes zu stellen sind. Die Räume dieser Unterhaltungslocale füllen sich meistens nur mit jenem Theile unsrer bürgerlichen Gesellschaft, bei welchem der einzige Grund zur wechselnden Vornahme irgend welcher Beschäftigung die Langeweile ist: die Krankheit der Langeweile ist aber nicht durch Kunstgenüsse zu heilen, denn sie kann absichtlich gar nicht zerstreut, sondern nur durch eine andere Form der Langeweile über sich selbst getäuscht werden. Die Besorgung dieser Täuschung hat nun jener berühmte Operncomponist zu seiner künstlerischen Lebensaufgabe gemacht. Es ist zwecklos, den Aufwand künstlerischer Mittel näher zu bezeichnen, deren er sich zur Erreichung seiner Lebensaufgabe bediente: genug, daß er es, wie wir aus dem Erfolge ersehen, vollkommen verstand, zu täuschen, und dieses


  1. Giacomo Meyerbeer, deutscher Komponist (1791-1864), der erfolgreichste Komponist seiner Zeit, förderte Wagner während dessen Aufenthalt in Paris 1839-42. Aber schon in seinem Brief an Franz Liszt vom 18. April 1851 schreibt Wagner: Mit Meyerbeer hat es nun bei mir eine eigene Bewandtnis: ich hasse ihn nicht, aber er ist mir grenzenlos zuwider. Dieser ewig liebenswürdige, gefällige Mensch erinnert mich, da er sich noch den Anschein gab, mich zu protegieren, an die unklarste, fast möchte ich sagen lasterhafteste Periode meines Lebens; das war die Periode der Konnexionen und Hintertreppen, in der wir von den Protektoren zum Narren gehalten werden, denen wir innerlich durchaus unzugetan sind. […] Aber Zeit war es, daß ich mich vollkommen aus dem unredlichen Verhältnisse zu ihm losmachte: äußerlich habe ich nicht die geringste Veranlassung dazu gehabt, denn selbst die Erfahrung, daß er es unredlich mit mir meine, konnte mich nicht überraschen und zumal mir kein Recht geben, da ich mir im Grunde selbst vorzuwerfen hatte, mich absichtlich über ihn getäuscht zu haben. Für Unredlichkeiten Meyerbeers gibt es keine Anhaltspunkte.
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Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik (1869). J.J. Weber, Leipzig 1869, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wagner_Das_Judenthum_in_der_Musik_1869.pdf/26&oldid=- (Version vom 1.8.2018)