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kann nur von einem vollkommenen, ganzen, warmen Menschen gesprochen werden, weil sie eben die Sprache eines so vollendeten Musikmenschen war, daß dieser mit nothwendigem Drange über die absolute Musik hinaus, deren Bereich er bis an seine äußersten Grenzen ermessen und erfüllt hatte, uns den Weg der Befruchtung aller Künste durch die Musik als ihre einzige erfolgreiche Erweiterung angewiesen hat. Die Sprache Bachs hingegen kann füglich von einem sehr fertigen Musiker, wenn auch nicht im Sinne Bachs, nachgesprochen werden, weil das Formelle in ihr noch das Ueberwiegende, und der rein menschliche Ausdruck noch nicht das so bestimmt Vorherrschende ist, daß in ihr bereits unbedingt nur das Was ausgesagt werden könnte oder müßte, da sie eben noch in der Gestaltung des Wie begriffen ist. Die Zerflossenheit und Willkürlichkeit unsres musikalischen Styles ist durch Mendelssohns Bemühen, einen unklaren fast nichtigen Inhalt so interessant und geistblendend wie möglich auszusprechen, wenn nicht herbeigeführt, so doch auf die höchste Spitze gesteigert worden. Rang der Letzte in der Kette unsrer wahrhaften Musikheroen, Beethoven, mit höchstem Verlangen und wunderwirkendem Vermögen nach klarstem, sicherstem Ausdrucke eines unsäglichen Inhaltes durch scharfgeschnittene plastische Gestaltung seiner Tonbilder, so verwischt dagegen Mendelssohn in seinen Productionen diese gewonnenen Gestalten zum zerfließenden, phantastischen Schattenbilde, bei dessen unbestimmtem Farbenschimmer unsre launenhafte Einbildungskraft willkürlich angeregt, unser rein menschliches inneres Sehnen nach deutlichem künstlerischem Schauen aber kaum nur mit der Hoffnung auf Erfüllung berührt wird. Nur da, wo das drückende Gefühl von dieser Unfähigkeit sich der Stimmung des Componisten zu bemächtigen scheint, und ihn zu dem Ausdrucke weicher und schwermüthiger Resignation hindrängt, vermag sich uns Mendelssohn charakteristisch darzustellen, charakteristisch in dem subjectiven

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Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik (1869). J.J. Weber, Leipzig 1869, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wagner_Das_Judenthum_in_der_Musik_1869.pdf/25&oldid=- (Version vom 1.8.2018)