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nie aber da, wo diese Figuren die Gestalt tiefer und markiger menschlicher Herzensempfindungen anzunehmen bestimmt waren[1]. Für diesen letzteren Fall hörte für Mendelssohn selbst alles formelle Productionsvermögen auf, weßhalb er denn namentlich da, wo er sich, wie im Oratorium, zum Drama anläßt, ganz offen nach jeder formellen Einzelnheit, welche diesem oder jenem zum Stylmuster gewählten Vorgänger als individuell charakteristisches Merkmal besonders zu eigen war, greifen mußte. Bei diesem Verfahren ist es noch bezeichnend, daß der Componist für seine ausdrucksunfähige moderne Sprache besonders unsren alten Meister Bach als nachzuahmendes Vorbild sich erwählte. Bachs musikalische Sprache bildete sich in der Periode unsrer Musikgeschichte, in welcher die allgemeine musikalische Sprache eben noch nach der Fähigkeit individuelleren, sicheren Ausdruckes rang: das rein Formelle, Pedantische haftete noch so stark an ihr, daß ihr rein menschlicher Ausdruck bei Bach, durch die ungeheure Kraft seines Genies, eben erst zum Durchbruche kam. Die Sprache Bachs steht zur Sprache Mozarts und endlich Beethovens in dem Verhältnisse, wie die ägyptische Sphinx zur griechischen Menschenstatue: wie die Sphinx mit dem menschlichen Gesichte aus dem Thierleibe erst noch herausstrebt, so strebt Bachs edler Menschenkopf aus der Perücke hervor. Es liegt eine unbegreiflich gedankenlose Verwirrung des luxuriösen Musikgeschmackes unsrer Zeit darin, daß wir die Sprache Bachs neben derjenigen Beethovens ganz zu gleicher Zeit uns vorsprechen lassen, und uns weismachen können, in den Sprachen Beider läge nur ein individuell formeller, keinesweges aber ein culturgeschichtlich wirklicher Unterschied vor. Der Grund hiervon ist aber leicht einzusehen: die Sprache Beethovens

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Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik (1869). J.J. Weber, Leipzig 1869, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wagner_Das_Judenthum_in_der_Musik_1869.pdf/24&oldid=- (Version vom 1.8.2018)

  1. Ueber das neu-jüdische System, welches auf diese Eigenschaft der Mendelssohnschen Musik, wie zur Rechtfertigung dieser künstlerischen Verkommniß, entworfen worden ist, sprechen wir später.