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und diese Lieblosigkeit muß ihm immer offenbarer werden, wenn er, um Nahrung für sein künstlerisches Schaffen zu gewinnen, auf den Boden dieser Gesellschaft hinabsteigt: nicht nur wird ihm hier Alles fremder und unverständlicher, sondern der unwillkürliche Widerwille des Volkes gegen ihn tritt ihm hier mit verletzendster Nacktheit entgegen, weil er nicht, wie bei den reicheren Classen, durch Berechnung des Vortheils und Beachtung gewisser gemeinschaftlicher Interessen geschwächt oder gebrochen ist. Von der Berührung mit diesem Volke auf das Empfindlichste zurückgestoßen, jedenfalls gänzlich unvermögend, den Geist dieses Volkes zu fassen, sieht sich der gebildete Jude auf die Wurzel seines eigenen Stammes hingedrängt, wo ihm wenigstens das Verständniß unbedingt leichter fällt. Wollend oder nicht wollend, muß er aus diesem Quelle schöpfen; aber nur ein Wie, nicht ein Was hat er ihm zu entnehmen. Der Jude hat nie eine eigene Kunst gehabt, daher nie ein Leben von kunstfähigem Gehalte: ein Gehalt, ein allgemeingiltiger menschlicher Gehalt ist diesem auch jetzt vom Suchenden nicht zu entnehmen, dagegen nur eine sonderliche Ausdrucksweise, und zwar eben diese Ausdrucksweise, welche wir oben näher charakterisirten. Dem jüdischen Tonsetzer bietet sich nun als einziger musikalischer Ausdruck seines Volkes die musikalische Feier seines Jehovadienstes dar: die Synagoge ist der einzige Quell, aus welchem der Jude ihm verständliche volksthümliche Motive für seine Kunst schöpfen kann. Mögen wir diese musikalische Gottesfeier in ihrer ursprünglichen Reinheit auch noch so edel und erhaben uns vorzustellen gesonnen sein, so müssen wir desto bestimmter ersehen, daß diese Reinheit nur in allerwiderwärtigster Trübung auf uns gekommen ist: hier hat sich seit Jahrtausenden Nichts aus innerer Lebensfülle weiterentwickelt, sondern Alles ist, wie im Judenthum überhaupt, in Gehalt und Form starr haften geblieben. Eine Form, welche nie durch Erneuerung des Gehaltes

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Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik (1869). J.J. Weber, Leipzig 1869, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wagner_Das_Judenthum_in_der_Musik_1869.pdf/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)