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Von der Wendung unsrer gesellschaftlichen Entwickelung an, wo mit immer unumwundenerer Anerkennung das Geld zum wirklich machtgebenden Adel erhoben ward, konnte den Juden, denen Geldgewinn ohne eigentliche Arbeit, d. h. der Wucher, als einziges Gewerbe überlassen worden war, das Adelsdiplom der neueren, nur noch geldbedürftigen Gesellschaft nicht nur nicht mehr vorenthalten werden, sondern sie brachten es ganz von selbst dahin mit. Unsre moderne Bildung, die nur dem Wohlstande zugänglich ist, blieb ihnen daher um so weniger verschlossen, als sie zu einem käuflichen Luxusartikel herabgesunken war. Von nun an tritt also der gebildete Jude in unsrer Gesellschaft auf, dessen Unterschied vom ungebildeten, gemeinen Juden wir genau zu beachten haben. Der gebildete Jude hat sich die undenklichste Mühe gegeben, alle auffälligen Merkmale seiner niederen Glaubensgenossen von sich abzustreifen: in vielen Fällen hat er es selbst für zweckmäßig gehalten, durch die christliche Taufe auf die Verwischung aller Spuren seiner Abkunft hinzuwirken. Dieser Eifer hat den gebildeten Juden aber nie die erhofften Früchte gewinnen lassen wollen: er hat nur dazu geführt, ihn vollends zu vereinsamen, und ihn zum herzlosesten aller Menschen in einem Grade zu machen, daß wir selbst die frühere Sympathie für das tragische Geschick seines Stammes verlieren mußten. Für den Zusammenhang mit seinen ehemaligen Leidensgenossen, den er übermüthig zerriß, blieb es ihm unmöglich einen neuen Zusammenhang mit der Gesellschaft zu finden, zu welcher er sich aufschwang. Er steht nur mit denen in Zusammenhang, welche sein Geld bedürfen: nie hat es aber dem Gelde gelingen wollen, ein gedeihenvolles Band zwischen Menschen zu knüpfen. Fremd und theilnahmlos steht der gebildete Jude inmitten einer Gesellschaft, die er nicht versteht, mit deren Neigungen und Bestrebungen er nicht sympathisirt, deren Geschichte und Entwickelung ihm gleichgiltig geblieben

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Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik (1869). J.J. Weber, Leipzig 1869, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wagner_Das_Judenthum_in_der_Musik_1869.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)