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Maße. „Unmusikalisch“ ist der stärkste Tadel; er kennzeichnet den damit Betroffenen und macht ihn zum Geächteten.

In einem Lande wie Italien, wo der Sinn für musikalische Freuden allgemein ist, wird diese Unterscheidung überflüssig, und das Wort dafür ist in der Sprache nicht vorhanden. In Frankreich, wo die Empfindung für Musik nicht im Volke lebt, gibt es Musiker und Nichtmusiker. Von den übrigen einige „aiment beaucoup la musique“, oder „ils ne l’aiment pas“. Nur in Deutschland macht man eine Ehrensache daraus, „musikalisch“ zu sein, das heißt, nicht nur Liebe zur Musik zu empfinden, sondern hauptsächlich sie in ihren technischen Ausdrucksmitteln zu verstehen und deren Gesetze einzuhalten.

Tausend Hände halten das schwebende Kind und bewachen wohlmeinend seine Schritte, daß es nicht auffliege und so vor einem ernstlichen Fall bewahrt bleibe. Aber es ist noch so jung und ist ewig, die Zeit seiner Freiheit wird kommen. Wenn es aufhören wird, „musikalisch“ zu sein.


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Gefühl ist eine moralische Ehrensache - wie die Ehrlichkeit es ist -, eine Eigenschaft, die niemand sich absprechen läßt - die im Leben gilt wie in der Kunst. Aber wenn im Leben Gefühllosigkeit zugunsten einer brillianteren Charaktereigenschaft - wie beispielsweise Tapferkeit, Unbestechlichkeit - noch verziehen wird, in der Kunst ist sie als oberste moralische Qualität gestellt.

Gefühl (in der Tonkunst) fordert aber zwei Gefährten: Geschmack und Stil. Nun trifft man im Leben ebenso selten auf Geschmack wie auf ein tiefes und wahres Gefühl, und was den Stil anbelangt, so ist er künstlerisches Gebiet. Was übrigbleibt, ist eine Vorstellung von Gefühl, das mit Rührseligkeit und Geschwollenheit bezeichnet werden muß, Und vor allem verlangt man seine deutliche Sichtbarkeit! Es muß unterstrichen werden, auf daß jeder merke, sehe und höre. Es wird vor den Augen des Publikums in starker Vergrößerung auf die Leinwand projiziert, so daß es aufdringlich und verschwommen vor den Augen tanzt; es wird ausgeschrien, daß es denen, die

Empfohlene Zitierweise:
Ferruccio Busoni: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. Leipzig: Philipp Reclam jun., 1983, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Macht_der_Toene.djvu/019&oldid=- (Version vom 1.8.2018)