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Walther Kabel: Verräter (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 3)

was es sich handelte, die Franzosen auf die Spür der westfälischen Reiter brachte, hat vergeblich immer wieder seine Unschuld beteuert. Er lebte, allgemein verachtet, noch bis zum Jahre 1856 in dem Dorfe Sielow. Auf dem Totenbett hat er dem Ortsgeistlichen dann nochmals versichert, er habe damals nicht gewußt, daß es sich um Deserteure handle, sondern angenommen, die beiden Reitertrupps, denen er kurz hintereinander begegnete, wären lediglich bei einem Patrouillenritt auseinandergekommen. Trotzdem sprach man in der Gegend von Sielow auch fernerhin von dem alten Junow nur als „dem Verräter“.

Schließlich sei hier noch an einen Verräter erinnert, dessen verächtliche Handlungsweise viel Ähnlichkeit mit der des Griechen Ephialtes hatte. Im Kriege 1866 ließ sich ein ungarischer Förster namens Sladeck dazu bestimmen, die preußische Brigade Rose einen Schleichweg über die Kleinen Karpathen zu führen, so daß es den Preußen gelang, den bei Blumenau stehenden Österreichern in den Rücken zu fallen. Dadurch wurde die österreichische Division Mondel völlig abgeschnitten, und sie hätte sich ergeben müssen, wenn inzwischen nicht von Nikolsburg der Befehl zum Einstellen der Feindseligkeiten gekommen wäre. Nach dem Friedenschluß wagte Sladeck natürlich nicht mehr, in seiner Heimat zu bleiben. Er erhielt eine Försterstelle in Preußen, lebte aber auch dort einsam und gemieden von jedermann. Er war ein finsterer, wortkarger Mensch, der offenbar das Gefühl seiner schweren Schuld nie verlor. Seinen Pflichten als Förster kam er mit größter Gewissenhaftigkeit nach. Er wurde der Schrecken der Wilderer seines Reviers, und bei einem Zusammenstoß mit Wilddieben ereilte ihn dann auch eine Kugel, die ihm die Lunge zerriß. Seine letzten Worte waren: „Gott sei mir großem Sünder gnädig.“

W. K.
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Walther Kabel: Verräter (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 3). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Verr%C3%A4ter.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)