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Walther Kabel: Verräter (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 3)

die Perser über einen Gebirgspfad den bei Thermopylä stehenden Spartanern in den Rücken führte. In der christlichen Geschichte wiederum spielt Judas Ischariot, der den Herrn verriet, eine böse Rolle. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich auch in Deutschland viele Leute durch verräterische Handlungen zu einer gewissen traurigen Berühmtheit verholfen. Manche Städte tauften sogar zur abschreckenden Erinnerung an einen Verräter unter ihren Bürgern eine Straße „Verrätergasse“.

So gibt es zum Beispiel in Görlitz eine solche, in der neben der Tür eines Hauses ein Stein in die Mauer eingelassen ist, der die eingemeißelten Buchstaben zeigt: D. V. R. T. = der verräterischen Rotte Tür. In diesem Hause hatte sich im Mai des Jahres 1512 eine Anzahl von Handwerksmeistern versammelt, die mit der neuen Steuerordnung des Magistrats nicht einverstanden waren und nun, nachdem sie alle gesetzlichen Mittel zur Abänderung jener Beschlüsse vergeblich versucht hatten, den Magistrat ermorden wollten. Dieser Plan wurde in der Nacht vom 12. zum 13. Mai des genannten Jahres mit allen Einzelheiten festgelegt. Danach wollten die Verschwörer noch in derselben Nacht pünktlich zwölf Uhr von verschiedenen Seiten in das Rathaus eindringen und die dort zu festlichem Gelage vereinten Magistratsmitglieder niederstoßen. Einen dieser Verräter packte aber noch in letzter Minute die Reue. Da es jedoch bereits kurz vor zwölf war und er nicht mehr Zeit gehabt hätte, die Ratsherren zu warnen, eilte er in die Klosterkirche, nach deren laut hallenden Schlagen sich die Verschwörer richten wollten, und schob den Zeiger zehn Minuten zurück. Dann eilte er in das Rathaus und teilte den Magistratsmitgliedern den geplanten Anschlag mit. Schleunigst wurde nun die Stadtwache herbeigeholt, und als die Handwerksmeister mit dem Glockenschlage zwölf in den Saal stürmten, nahm man sie sämtlich gefangen. Sie wurden noch in demselben Jahre nach kurzer Gerichtsverhandlung zum Tode verurteilt und enthauptet.

Ein historisches Andenken an die Verräterei eines seiner Bürgermeister wird in Prenzlau auf dem Rathause aufbewahrt.

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Walther Kabel: Verräter (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 3). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Verr%C3%A4ter.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)