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Der letzte Akt der Völkerschlacht bei Leipzig
am 19. Oktober 1813.
Von Rich. Cramer.

     Die großartigsten militärischen und politischen Ereignisse beschäftigen die Phantasie der Menschen nur so lange, bis dieselben durch neue Ereignisse von ähnlicher Bedeutung abgelöst werden. So haben die Feldzüge von 1866 und 1870/71 die Freiheitskriege von 1813 und die entscheidende Völkerschlacht bei Leipzig aus der Erinnerung der Gegenwart verdrängt, und es hat mannigfacher Mahnungen bedurft, um die Sammlungen für das Denkmal auf dem Leipziger Schlachtfelde, zu welchem 1869 feierlich der Grundstein gelegt wurde, wieder in Fluß zu bringen, damit diese Ehrenschuld des deutschen Volkes endlich in würdiger Weise eingelöst werde.

     Jetzt, wo man sich in den Stadtgemeinden, welche s. Zt. an der fünfzigjährigen Jubelfeier der Leipziger Schlacht beteiligt waren, wieder lebhaft mit dem Gedanken beschäftigt, die damals in warmer Begeisterung gefaßte Idee ihrer Verwirklichung zuzuführen, dürfte es an der Zeit sein, durch Wort und Bild die Schlachttage von 1813 wieder lebendig zu machen und einer interessanten bildlichen Darstellung, welche sich zur Zeit nur in den Händen von Sammlern befindet und bei ihnen jederzeit gesucht ist, eine weitere Verbreitung zu geben. Ehe wir aber auf eine Erläuterung des figurenreichen Bildes und seines wilden Durcheinanders und Nebeneinanders eingehen können, müssen wir wohl den historischen Verlauf des Dramas, dessen Schlußact das Bild vorführt, flüchtig skizziren.

     Das Riesenheer, welches Napoleon der I. 1812 über den Niemen nach Rußland führte, um sich die Weltherrschaft zu sichern, hatte nach den blutigen Siegen von Smolensk und Borodino infolge des Brandes von Moskau, der es der Winterquartiere beraubte, den denkwürdigen Rückzug antreten müssen, während dessen die Regimenter zu Compagnien zusammenschmolzen, sodaß nur armselige Trümmer den Boden Deutschlands erreichten. Die gesammte Kavallerie und Artillerie war auf den Eisfeldern Rußlands zu Grunde gegangen, Hunger, Kälte und die Kosaken hatten das stolzeste Heer vernichtet, das der Welteroberer je ins Feld geführt. Aber die Energie des großen Korsaren ließ sich auch durch diesen Schlag nicht brechen. Während die gleichfalls stark geschwächte russische Armee unter Kutusow die Grenzen Preußens überschritt, das Napoleon, gleich Oesterreich gezwungene Heerfolge geleistet hatte, lieferte der nach Paris geeilte Franzosenkaiser den Beweis, daß es nicht unmöglich sei, „Armeen aus der Erde zu stampfen“. An alten Soldaten, welche den Rahmen für Neuformationen liefern konnten, war kein Mangel. Eine neue Aushebung lieferte zwar nur noch halbe Kinder, die mit dem Stocke in der Hand sofort ausmarschirten und auf dem Marsch, nach Deutschland den erforderlichen Drill erhielten, aber unter guter Führung nahmen es dieselben mit den erprobten Veteranen auf, welche ihnen gegenübertraten, und Reiterei wurde aus Spanien herbeigezogen, das sich ohnehin nicht länger behaupten ließ. Mit diesem neuen Heere rückte Napoleon im Frühjahr 1813 gegen die Russen ins Feld, zu denen Preußen inzwischen übergetreten war. Dasselbe hatte durch den berühmten Aufruf des Königs „an mein Volk“ alle Kräfte der deutschen Nation zum Befreiungskampf aufgerufen, und war in allen Schichten der Bevölkerung einer unerhörten, begeisterten Opferwilligkeit und Todesfreudigkeit begegnet. Die ersten Schlachten (bei Großgörschen und Bautzen) machten zwar den Verbündeten alle Ehre, doch sie mußten beide Male das Feld räumen und auch der Angriff auf Dresden, der nach dem Beitritt Oesterreichs unternommen wurde, führte zu einer schweren Niederlage; die Kindersoldaten Napoleons, welche größtentheils am Tage vor der Schlacht zum ersten Male mit Platzpatronen geschossen hatten, zeigten sich den bärtigen Kriegern der Verbündeten noch einmal überlegen. Von jetzt an aber wendete sich das Blatt; die getrennt operirenden Heere der Verbündeten lockten Napoleon, jeder neuen Schlacht ausweichend, bald dahin, bald dorthin und ermüdeten seine Truppen durch die fortwährenden Märsche und Gegenmärsche; kaum aber hatte Napoleon sich gegen einen anderen Gegner gewendet in der Hoffnung, daß dieser ihm Stich halten und eine Schlacht annehmen werde, so fiel die freigewordene Heeresmacht mit voller Wucht auf einen von Napoleons Marschällen und bereitete ihm eine schwere Niederlage. Ein lebhaft geführter kleiner Krieg störte die Verbindung und die Verpflegung der Franzosen und fügte ihnen eine Reihe von Verlusten zu, die an sich leicht wogen, die aber, zusammengenommen, dem Verlust in einer großen Schlacht gleichkamen. Immer dichter und enger zog sich allmählig das Netz zusammen, welches die verbündeten Heere um Napoleon geworfen hatten, und Mitte Oktober stand er endlich auf den weiten Fluren um Leipzig, dem größten Schlachtfeld diesseits des Rheins, vor der Nothwendigkeit, seine Feinde entweder entscheidend zu schlagen oder den Rückzug nach dem Rhein anzutreten – ein zweites gab es nicht mehr für ihn. Der entscheidende Schlag mußte auch am 16. Oktober, am ersten Schlachttage fallen, denn am 18. hatten die Verbündeten bereits die Armeen des Kronprinzen von Schweden und die russische Reservearmee Bennigsens

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Der letzte Akt der Völkerschlacht bei Leipzig am 19. Oktober 1813. Friedrich Geißler, Leipzig 1892, Seite Völkerschlacht bei Leipzig 01.jpg. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:V%C3%B6lkerschlacht_bei_Leipzig_01.jpg&oldid=- (Version vom 14.10.2019)