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Die Mähderin.


„Guten Morgen, Marie! so frühe schon rüstig und rege?
Dich, treuste der Mägde, dich machet die Liebe nicht träge.
Ja! mähst du die Wiese mir ab von jetzt in drei Tagen,
Nicht dürft’ ich den Sohn dir, den einzigen, länger versagen.“

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Der Pächter, der stattlich begüterte, hat es gesprochen,

Marie, wie fühlt sie den liebenden Busen sich pochen!
Ein neues, ein kräftiges Leben durchdringt ihr die Glieder,
Wie schwingt sie die Sense, wie streckt sie die Mahden danieder!

Der Mittag glühet, die Mähder des Feldes ermatten,

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Sie suchen zur Labe den Quell und zum Schlummer den Schatten,

Noch schaffen im heißen Gefilde die summenden Bienen,
Marie, sie ruht nicht, sie schafft in die Wette mit ihnen.

Die Sonne versinkt, es ertönet das Abendgeläute,
Wohl rufen die Nachbarn: „Marie, genug ist’s für heute!“

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Wohl ziehen die Mähder, der Hirt und die Herde von hinnen,

Marie, sie dengelt die Sense zu neuem Beginnen.

Schon sinket der Thau, schon erglänzen der Mond und die Sterne,
Es duften die Mahden, die Nachtigall schlägt aus der Ferne,
Marie verlangt nicht zu rasten, verlangt nicht zu lauschen,

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Stets läßt sie die Sense, die kräftig geschwungene, rauschen.
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0209.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)