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Mark Twain übersetzt von Wilhelm Lange: Zeitungsschreiberei in Tennessee In: Meisterbuch des Humors

Der Chef wandte sich nach mir um und sagte:

„Ich erwarte Gesellschaft zum Mittagsessen und werde Anstalten zum Empfang derselben treffen müssen. Sie werden mich sehr verbinden, wenn Sie die Korrektur lesen und die Kunden bedienen wollen.“

Bei dem Gedanken, solche Kunden bedienen zu müssen, fuhr ich ein wenig zusammen, aber ich war durch die Kanonade, die mir noch in den Ohren tönte, zu konfus geworden, als daß ich daran hätte denken können, auf diese Zumutung etwas zu erwidern.

Er fuhr fort:

„Jones wird um drei hier sein – peitschen Sie ihn durch. Gillespie wird vielleicht etwas früher vorsprechen – werfen Sie ihn zum Fenster hinaus. Ferguson wird etwa um vier kommen – blasen Sie ihm das Licht aus. Ich glaube, das ist für heute alles. Wenn Sie Zeit übrig haben, schreiben Sie dann einen glühenden Artikel über die Polizei – geben Sie dem Oberinspektor einige Pillen zu verschlucken. Die Peitschen liegen unter dem Tische, die Schießwaffen in der Lade – Munition dort im Winkel – Leinwand und Bandagen da oben in den Fächern. Falls Ihnen etwas Menschliches passieren sollte, gehen Sie hinunter zu Lancet, dem Chirurgen. Er annonciert in unserer Zeitung – wir gleichen unsere Rechnungen miteinander aus.“

Fort war er. Ich schauderte. Nach Verlauf von drei Stunden hatte ich so furchtbare Gefahren durchgemacht, daß aller Seelenfrieden und alle Freudigkeit verschwunden waren. Gillespie hatte vorgesprochen und mich zum Fenster hinausgeworfen. Jones stellte sich pünktlich ein, und als ich mich daran machen wollte, ihm das Durchpeitschen zu besorgen, nahm er mir dies Geschäft ab. Bei einem Zusammenstoß mit einem Fremden, der nicht auf der Speisekarte stand, hatte ich meine Kopfhaut verloren. Ein anderer Fremder, namens Thompson, ließ mich als ein Wrack, als eine Ruine von chaotischen Lumpen zurück. Als ich schließlich in einer Ecke furchtbar in der Klemme saß und von einem wütenden Haufen von Redakteuren, Gaunern, Politikern und Halunken belagert wurde, die rasten und fluchten und mir ihre Waffen um den Kopf schwangen, bis die Luft von den schimmernden Stahlblitzen flimmerte, war ich gerade im Begriff, auf meinen Posten bei der Zeitung zu resignieren, als der Chef ankam und mit ihm ein Schwarm bezauberter und begeisterter Freunde. Dann folgte ein Auftritt voll tollen Rasens und Gemetzels, wie sie keine menschliche Feder, selbst wenn sie von Stahl ist, zu beschreiben vermag. Leute wurden niedergeschossen, erstochen, zerstückelt, in die Luft gesprengt und zum Fenster hinausgeworfen. Es entstand ein kurzer Wirbelwind grimmiger Gotteslästerung, durch welchen ein verwirrter und wahnsinniger Kriegstanz hindurchschimmerte, und dann war alles vorbei. Nach fünf Minuten herrschte wieder vollkommene Ruhe, und der bluttriefende Chef und ich betrachteten die blutigen Trümmer, mit denen der Boden um uns herum besät war.

Er sprach: „Sie werden diesen Ort liebgewinnen, wenn Sie sich erst an solche Dinge gewöhnt haben.“

Empfohlene Zitierweise:
Mark Twain übersetzt von Wilhelm Lange: Zeitungsschreiberei in Tennessee In: Meisterbuch des Humors. Ullstein & Co., Berlin und Wien 1908, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Twain-Zeitungsschreiberei_in_Tennessee-1908.djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)