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ἐστιχώοντο (sie gingen vor dem tiefen Ufer) und Il. XIV, 35-36: καὶ πλῆσαν ἁπάσης ἠϊόνος στόμα μακρὸν, ὅσον συνεέργαθον ἄκραι (und füllten den weiten Mund des ganzen Gestades soweit es die Vorgebirge einschlossen), denn hier will der Dichter nur das vom Cap Sigeion und Cap Rhoeteion eingeschlossene niedrige Ufer des Hellespont beschreiben. Es ist von Forchhammer (Observations on the Topography of Troy, in the Journal of the Royal Geographical Society, 1842, XII, Seite 34) behauptet worden, dass die allmähliche Steigerung der Höhen von Intepe, sowie die hohen und steilen Ufer der Bäche Intepe-Asmak und Kalifatli-Asmak nahe bei ihrer Mündung in einem morastigen Boden es unmöglich machen, dass je ein Meerbusen in der Ebene gewesen ist, da, wenn der Boden der Ebene von den Alluvia der Flüsse und Bäche erzeugt wäre, ihre Ufer nicht eine senkrechte Höhe von 6 bis 20 Fuss haben können, an Stellen wo der Grund morastig und locker ist. Ferner dass die grossen und tiefen Teiche im Ufer der Ebene die Theorie unmöglich machen, dass die Ebene von Troia, oder auch nur ein Theil davon, von Alluvia gebildet ist. Weiter dass der Strom des Hellespont, welcher mit einer Schnelligkeit von 3 engl. Meilen in der Stunde von Norden nach Süden durch die Enge fliesst und deren Küsten fegt, die Alluvia der Flüsse mit fortnimmt und auf die Untiefen im Aegaeischen Meere, einige Meilen vor dem Eingange des Hellespont, niederschlägt, und dass dieser Strom stets den Zuwachs des Ufers verhindert haben muss.

Die Frage würde nach meiner Meinung leicht zu lösen sein, wenn man einige Schachte in der Ebene grübe, denn wenn dieselbe aus Alluvialboden bestände, so würde man nothwendigerweise, soweit als dieser reicht, Fluss-Muscheln und Fluss-Schnecken, und später Meer-Muscheln und Schnecken, sowie Meersand und Steine finden. Die Theorie, dass die Flüsse und Bäche im Alluvialboden keine senkrechte Ufer von 6 bis 20 Fuss Tiefe haben können, lässt sich wohl nur auf verhältnissmässig neuen Alluvialboden anwenden, und will ich gerne zugeben, dass diese verticalen Ufer in den Flüssen der erst in historischer Zeit gebildeten Ebene von Ephesus bis jetzt unmöglich sind. Dagegen aber wage ich die Behauptung, dass diese Theorie durchaus nicht auf Alluvialboden uralter Bildung, und keinenfalls auf den Boden der Ebene von Troia angewandt werden kann, welcher letztere, falls er wirklich aus den Alluvia der Flüsse erzeugt worden ist, doch jedenfalls einer Zeit angehört, die viel älter ist als die Gründung des heiligen Ilion. Zum Beweise führe ich an, dass die kleine Stadt Kum-Kalé, welche bekanntlich auf der am weitesten in den Hellespont hinausreichenden Spitze der Ebene liegt, sich auf der Baustelle einer uralten Stadt befindet, welche unmöglich eine andere sein kann als Achilleion. Diese wurde nach Strabo (C. 600) von den Mityleniern gegründet, befand sich aber nach demselben Schriftsteller in der 43ten Olympiade (d. h. 607 vor Chr.) seit langer Zeit im Krieg mit Sigeion und wir können daher mit Bestimmtheit annehmen, dass seine Gründung in den Anfang des 8ten oder ins Ende des 9ten Jahrhunderts v. Chr. hinaufreicht. Somit ist die Stadt Achilleion an und für sich schon ein Beweis, dass die Ebene von Troia schon zur Zeit Homer’s gerade so weit in den Hellespont hinausging als jetzt. Es lässt sich aber wohl mit Bestimmtheit annehmen, dass, falls der Hellespont keine Strömung hätte, die Alluvia des Skamander und Simois schon längt diese Meerenge geschlossen und Asien und Europa durch einen neuen Isthmus verbunden hätten.

Da ich die Topographie der Ebene von Troia beschreibe, so füge ich an, dass in meiner Meinung die gewöhnliche Uebersetzung der homerischen Worte „θρωσμὸς πεδίοιο“ durch „Hügel in der Ebene“, durchaus irrthümlich ist, denn erstens ist keine getrennte Anhöhe in der Ebene, und zweitens lässt der Sinn der drei homerischen Verse, in welchen diese Worte vorkommen, durchaus nicht eine solche Uebersetzung zu. Wir lesen in der Ilias X, 159–161: „Steh auf

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Heinrich Schliemann: Troia und seine Ruinen. , Waren 1875, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Troia_und_seine_Ruinen.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)