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Autor: Heinrich Schliemann
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Titel: Troia und seine Ruinen
Untertitel: Vortrag von Dr. Heinrich Schliemann gehalten in der Aula der Universität Rostock den 17. August 1875
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Entstehungsdatum: 1875
Erscheinungsdatum: 1875
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Quelle: UB Heidelberg, Commons
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Troia und seine Ruinen.


Vortrag

von

Dr. HEINRICH SCHLIEMANN

gehalten

in der Aula der Universität Rostock

den 17. August 1875.


WAREN.

DRUCK VON C. QUANDT.

1875.


Troia und seine Ruinen.




Der Reisende, welcher vom Piraeus nach dem Hellespont fährt, sieht, nachdem er an der westlichen Küste von Lesbos vorbeigefahren ist, das Cap Lekton, welches die Westspitze des Idagebirges bildet. Dies Cap ist die südlichste Spitze des Landes, welches seit der Zeit Homers bis jetzt, und wahrscheinlich schon viele Jahrhunderte vor Homer, den berühmten, den unsterblichen Namen Troas getragen hat. Indem er die Westküste desselben entlang segelt, welche sich beinahe in gerader Linie nach Norden erstreckt und im Cap Sigeion endet, sieht der Reisende dort, in der Mitte eines dichten Eichenwaldes, die riesigen Trümmer der einst blühenden Stadt Alexandria Troas, welche nach ihrer grossen Ausdehnung wenigstens 500,000 Einwohner gehabt zu haben scheint. Der allgemeinen Meinung zuwider glaube ich nicht, dass diese Stadt von Antigonos gegründet, sondern dass sie nur von ihm vergrössert worden ist, denn Strabo (C. 604 und 607) sagt ausdrücklich, dass ihre Baustelle früher Sigia genannt wurde und dass Antigonos diese durch die Einwohner von Skepsis, Larisa, Kolonai, Hamaxitos und anderen Städten bevölkerte und sie Antigonia Troas nannte. Er sagt ferner, dass diese Stadt später von Lysimachos verschönert wurde, der sie, Alexander dem Grossen zu Ehren, Alexandria Troas nannte. Der Ort gefiel Julius Caesar so sehr, dass (nach Suetonius, im Leben Caesar’s) er beabsichtigte, ihn zur Hauptstadt des römischen Reichs zu machen. Nach Zosimos (II, 30) und Zonaras (XIII, 3) hatte Constantin der Grosse denselben Plan, ehe er Byzantion wählte. Unter Hadrian war der berühmte Redner Herodes Atticus Verwalter dieser Stadt. Es sind noch verschiedene Theile jener Wasserleitung erhalten, welche er baute und zu deren Kosten sein Vater Atticus aus eigenen Mitteln drei Millionen Drachmen beitrug. Alexandria Troas kommt auch in der heiligen Schrift vor als eine der vom Apostel Paulus besuchten Städte. Ihre bedeutenden byzantinischen Trümmer lassen keinen Zweifel, dass sie bis zum Ende des Mittelalters bewohnt worden ist. Jetzt wird sie Eskistambul genannt.

Gleich nachher passiert der Reisende die schöne Insel Tenedos, hinter welcher (nach der Odyssee) die Griechen ihre Schiffe verbargen, nachdem sie das hölzerne Pferd gebaut hatten. Unmittelbar nachher passiert er den Golf von Baschika, und sieht auf dem hohen und steilen Ufer, welches gleichfalls ein Ausläufer vom Idagebirge ist, drei kegelförmige Hügel, welche Heldengräber genannt werden, und von denen der grösste, „Udseck-Tepe“ genannt, 83 Fuss hoch und weit auf dem Meere sichtbar ist. Darauf fährt der Reisende um das vorgenannte Cap Sigeion herum, welches 300 Fuss hoch ist. Hier fängt der herrliche Hellespont an, welcher von der Troas und der thrakischen Halbinsel gebildet wird. Auf dem Cap liegt das nur von Christen bewohnte Dorf Jenisahir, auf der Baustelle des alten Sigeion, dessen Trümmer mit einer 6½ Fuss dicken Schuttdecke bedeckt sind. Am Fusse des Caps, an dessen N. Ost Seite, sieht man noch 2 kegelförmige Heldengräber, von denen das eine dem Patroklos zugeschrieben wird, während man das andere, dicht am Ufer gelegene, mit dem Grabe des Achilleus identificirt. In der That stimmt seine Lage mit der Beschreibung, welche uns Homer (Odyss. XXIV.) von dem Grabe dieses Helden macht. „In diese goldene Urne wurden Deine Gebeine gelegt, o ruhmreicher Achilleus, gemischt mit denjenigen des Patroklos, dem Sohn von Menoetios; aber getrennt die von Antilochos, den Du unter allen Gefährten am meisten ehrtest nach dem Tode von Patroklos. Und über sie häuften wir, die heilige Armee der speerschwingenden Griechen, ein grosses und untadelhaftes Grab, auf dem vorspringenden Ufer im breiten Hellespont: so dass es weit im Meere gesehen werden möge, von denen die jetzt geboren sind und von denen die später geboren werden.“

Hier endlich sind wir in der berühmten Ebene von Troia angelangt, welche 8½ englische Meilen lang, 1¾ bis 5 Meilen breit und auf der N. Seite vom Hellespont und auf allen übrigen Seiten von Höhen-Reihen begränzt ist, welche ebenfalls Ausläufer vom Idagebirge sind. Auf der Ostseite ist die Höhenreihe durch ein anderes, 4¼ engl. Meilen langes, 11/8 engl. Meilen breites Thal unterbrochen, welches mit der grossen Ebene verbunden, und nach N. und O. von Hügeln und nach S. von einem 100 bis 330 Fuss hohen ununterbrochenen Bergrücken begränzt ist, welcher weit in die grosse Ebene hinausläuft und in dem berühmten Berge Hissarlik endet. Eine zweite, aber viel kleinere Ebene dehnt sich am Ende der grossen Ebene nach Osten aus. Wie gesagt, ist das Ufer der Ebene von Troia nach W. vom Cap Sigeion, nach O. von den Höhen von Intepe oder Rhoeteion eingeschlossen. Die Ebene ist anfänglich so niedrig, dass sich im Ufer grosse und tiefe Teiche gebildet haben, deren Wasser immer dieselbe Höhe hat, denn das was durch Verdunstung verschwindet, wird durch Einsickerung vom Meere wiederersetzt. Von dort ab steigt die Oberfläche der Ebene allmählich, aber die gesammte Steigung beträgt nur 46½ Fuss auf 8½ Meilen. Die Ebene ist äusserst fruchtbar, aber die Hälfte davon besteht aus Sümpfen, deren grösserer Theil jedenfalls aus der vernachlässigten Cultur entstanden ist. Es leidet übrigens keinen Zweifel, dass zu Homer’s Zeit schon Sümpfe hier waren und einige derselben sogar ganz nahe bei der Stadt, denn nach der Odyssee (XIV, 472–475) sagt Odysseus zu Eumaeos: „Als wir aber zur Stadt kamen und zur hohen Mauer, legten wir uns in der Nähe der Festungswerke nieder, zwischen dichten Büschen, in dem Rohr und Sumpf.“

Die Ebene wird in ihrer ganzen Länge, von S. nach N., vom Skamander durchflossen, dessen Name in des Flusses jetzigem Namen Mendere wiederzuerkennen ist. Dieser Fluss entspringt aus einer sehr heissen und einer ganz kalten Quelle in einem Thale nahe am Gipfel des Idagebirges, und nach einem Lauf von 36 engl. Meilen fällt er bei dem kleinen Städtchen Kum-Kale in den Hellespont. Seine gewöhnlich steilen Ufer, welche oft 20 Fuss hoch sind, sind meistentheils mit Bäumen bepflanzt, wie zur Zeit Homer’s, denn der Poet sagt Ilias XXI, 350–352: „Die Ulmen verbrannten und die Weiden und die Tamarinden; der Lotus wurde versengt und das Schilf[WS 1] und das Rohr, welche an den Ufern des schönen Stroms in grosser Menge wuchsen.“ Die Breite des Skamander ist 330 bis 660 Fuss, aber dessenungeachtet überschwemmt er häufig durch den Winterregen und überfluthet einen grossen Theil der Ebene. Die homerischen Beiwörter des Flusses sind: ἐΰῤῥοος (schön fliessend); δινήεις (wirbelnd); μέγας (gross); βαθυδίνης (tiefwirbelnd); βαθύῤῥοος (tieffliessend); ἀργυροδίνης (silberwirbelnd); ἠϊόεις (mit bergigen Ufern). Nach Homer nahm das griechische Lager das ganze Ufer zwischen dem Cap Sigeion und den Hohen von Intepe oder Rhoeteion ein, denn der Dichter sagt Il. XIV, 31–36: „Sie hatten die ersten Schiffe auf die Ebene gezogen und hatten eine Mauer vor ihnen gebaut, denn, obwohl das Ufer breit war, so war es doch durchaus nicht hinreichend, um alle Schiffe zu halten und die Völker waren gedrängt. Sie zogen daher die Schiffe in Reihen auf, die eine hinter der anderen, und füllten den weiten Mund des ganzen Ufers, soviel als die Vorgebirge einschlossen.“

Wenn der Skamander schon damals sein jetziges Bett gehabt hätte, so würde er gerade durch das griechische Lager geflossen sein, und Homer würde es nicht unterlassen haben, diese wichtige Thatsache zu erwähnen. Daher kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der Fluss zur Zeit Homer’s das breite Bett des kleinen Baches Intepe-Asmak hatte, welcher neben den Höhen von Intepe fliesst und sich unweit des dem Ajax zugeschriebenen kegelförmigen Tumulus in den Hellespont ergiesst. Drei breite, trockene Flußbetten, deren Spuren man zwischen dem Intepe-Asmak und dem Skamander sieht, beweisen, dass letzterer[WS 2] sein Bett allmählich im Laufe vieler Jahrhunderte gewechselt hat. Wenn wir den Intepe Asmak bis zum Dorfe Kum-Koï hinaufgehen, dann sehen wir, dass er die Fortsetzung des Baches Kalifatli-Asmak ist, welcher ebenfalls ein gewaltiges Bett hat und von diesem Dorf ab den grössten Theil seines Wassers in nordwestlicher Richtung zum Hellespont sendet. Aber man bemerkt sogleich, dass letzterer Arm nicht alt, sondern verhältnissmässig neu gebildet ist. Somit floss der Skamander einst bis zum Dorfe Kum-Koï im Bett des Intepe-Asmak, und von dort ab in dem des Kalifatli-Asmak, welcher jetzt nur von den vielen Quellen am S. O. Ende der Ebene genährt wird. Die Identität des Kalifatli-Asmak mit dem alten Bett des Skamander wird ausserdem durch den Simois, jetzt Dumbrek-Su genannt, bewiesen, welcher sich noch jetzt, 1 Meile nördlich von Hissarlik, unter rechtem Winkel in den Kalifatli-Asmak ergiesst. Der Simois entspringt, in einer Entfernung von 15 engl. Meilen, in der Abstufung des Idagebirges und fliesst durch die östliche Ebene, in welcher er grosse und stets unpassierbare Sümpfe bildet. Seine Breite ist 66 bis 100 Fuss. Homer bestätigt den Zusammenfluss der beiden Ströme und die geringe Entfernung dieses Zusammenflusses von Ilion, denn er sagt Il. V, 773–774: „Aber als sie Troia erreichten, und die beiden fliessenden Ströme, wo Simois und Skamander ihre Strome vereinigen.“ Ich habe noch den Fluss Kamar-Tsaï zu erwähnen, welcher sich am südlichen Ende der Ebene in den Skamander ergiesst und welcher richtig mit dem homerischen Thymbrios identificirt wird. Endlich habe ich den Bunarbaschi-Su genannten Bach zu erwähnen, welcher aus 40 kalten Quellen, am Südende der Ebene, am Fusse der Höhen von Bunarbaschi entspringt. Sein Wasser fliesst meistentheils durch einen künstlichen Canal in den Golf von Baschika, während der übrige Theil ungeheure Sümpfe bildet. Die vielen Sümpfe der Ebene von Troia dünsten pestilenzialische Miasmen aus, welche die Luft verpesten und viel Fieber verursachen. In Folge dessen sieht man in der Ebene nur die drei armen Dörfer Halil-Koï, Kum-Koï und Kalifatli, wovon das zweite im Sommer durchaus unbewohnbar ist. Die Frage, ob die Ebene von Troia aus den Alluvia der Flüsse entstanden und einst ein tiefer Meerbusen gewesen ist, ist noch nicht entschieden. Diejenigen aber, welche das Dasein eines Golfes zu Homer’s Zeit aus der Ilias beweisen wollen, erklären nach meiner Meinung durchaus irrthümlich die Verse Il. II, 92: ἠϊόνος προπάροιθε βαθείης ἐστιχώοντο (sie gingen vor dem tiefen Ufer) und Il. XIV, 35-36: καὶ πλῆσαν ἁπάσης ἠϊόνος στόμα μακρὸν, ὅσον συνεέργαθον ἄκραι (und füllten den weiten Mund des ganzen Gestades soweit es die Vorgebirge einschlossen), denn hier will der Dichter nur das vom Cap Sigeion und Cap Rhoeteion eingeschlossene niedrige Ufer des Hellespont beschreiben. Es ist von Forchhammer (Observations on the Topography of Troy, in the Journal of the Royal Geographical Society, 1842, XII, Seite 34) behauptet worden, dass die allmähliche Steigerung der Höhen von Intepe, sowie die hohen und steilen Ufer der Bäche Intepe-Asmak und Kalifatli-Asmak nahe bei ihrer Mündung in einem morastigen Boden es unmöglich machen, dass je ein Meerbusen in der Ebene gewesen ist, da, wenn der Boden der Ebene von den Alluvia der Flüsse und Bäche erzeugt wäre, ihre Ufer nicht eine senkrechte Höhe von 6 bis 20 Fuss haben können, an Stellen wo der Grund morastig und locker ist. Ferner dass die grossen und tiefen Teiche im Ufer der Ebene die Theorie unmöglich machen, dass die Ebene von Troia, oder auch nur ein Theil davon, von Alluvia gebildet ist. Weiter dass der Strom des Hellespont, welcher mit einer Schnelligkeit von 3 engl. Meilen in der Stunde von Norden nach Süden durch die Enge fliesst und deren Küsten fegt, die Alluvia der Flüsse mit fortnimmt und auf die Untiefen im Aegaeischen Meere, einige Meilen vor dem Eingange des Hellespont, niederschlägt, und dass dieser Strom stets den Zuwachs des Ufers verhindert haben muss.

Die Frage würde nach meiner Meinung leicht zu lösen sein, wenn man einige Schachte in der Ebene grübe, denn wenn dieselbe aus Alluvialboden bestände, so würde man nothwendigerweise, soweit als dieser reicht, Fluss-Muscheln und Fluss-Schnecken, und später Meer-Muscheln und Schnecken, sowie Meersand und Steine finden. Die Theorie, dass die Flüsse und Bäche im Alluvialboden keine senkrechte Ufer von 6 bis 20 Fuss Tiefe haben können, lässt sich wohl nur auf verhältnissmässig neuen Alluvialboden anwenden, und will ich gerne zugeben, dass diese verticalen Ufer in den Flüssen der erst in historischer Zeit gebildeten Ebene von Ephesus bis jetzt unmöglich sind. Dagegen aber wage ich die Behauptung, dass diese Theorie durchaus nicht auf Alluvialboden uralter Bildung, und keinenfalls auf den Boden der Ebene von Troia angewandt werden kann, welcher letztere, falls er wirklich aus den Alluvia der Flüsse erzeugt worden ist, doch jedenfalls einer Zeit angehört, die viel älter ist als die Gründung des heiligen Ilion. Zum Beweise führe ich an, dass die kleine Stadt Kum-Kalé, welche bekanntlich auf der am weitesten in den Hellespont hinausreichenden Spitze der Ebene liegt, sich auf der Baustelle einer uralten Stadt befindet, welche unmöglich eine andere sein kann als Achilleion. Diese wurde nach Strabo (C. 600) von den Mityleniern gegründet, befand sich aber nach demselben Schriftsteller in der 43ten Olympiade (d. h. 607 vor Chr.) seit langer Zeit im Krieg mit Sigeion und wir können daher mit Bestimmtheit annehmen, dass seine Gründung in den Anfang des 8ten oder ins Ende des 9ten Jahrhunderts v. Chr. hinaufreicht. Somit ist die Stadt Achilleion an und für sich schon ein Beweis, dass die Ebene von Troia schon zur Zeit Homer’s gerade so weit in den Hellespont hinausging als jetzt. Es lässt sich aber wohl mit Bestimmtheit annehmen, dass, falls der Hellespont keine Strömung hätte, die Alluvia des Skamander und Simois schon längt diese Meerenge geschlossen und Asien und Europa durch einen neuen Isthmus verbunden hätten.

Da ich die Topographie der Ebene von Troia beschreibe, so füge ich an, dass in meiner Meinung die gewöhnliche Uebersetzung der homerischen Worte „θρωσμὸς πεδίοιο“ durch „Hügel in der Ebene“, durchaus irrthümlich ist, denn erstens ist keine getrennte Anhöhe in der Ebene, und zweitens lässt der Sinn der drei homerischen Verse, in welchen diese Worte vorkommen, durchaus nicht eine solche Uebersetzung zu. Wir lesen in der Ilias X, 159–161: „Steh auf o Sohn des Tydeus, warum bringst Du die ganze Nacht im Schlaf zu? hörest Du nicht, dass die Troianer ξπί θϙωσμώ πεδίοιο in der Nähe der Schiffe lagern, und dass sie nur eine kleine Strecke von denselben trennt?“ Ferner lesen wir in der Ilias XI, 56: „Auf der anderen Seite versammelten sich die Troianer ξπί θϙωσμώ πεδίοιο um den grossen Hektor und den unbescholtenen Polydamas. An diesen beiden Stellen wird durch θϙωσμός πεδίοιο die am Ufer des Skamander befindliche und bereits in den Versen 489–492 des VIII. Gesanges erwähnte Stelle des troianischen Lagers angedeutet; wir lesen hier: „Aber der ruhmvolle Hektor hielt eine Versammlung der Troianer, nachdem er sie ferne von den Schiffen an den wirbelnden Strom auf einen freien Platz geführt hatte, der von todten Körpern entblösst war. Aber von den Pferden gestiegen, horchten sie auf die Rede.“ In diesen Versen ist keine Andeutung, dass die Stelle des troianischen Lagers am Ufer des Skamander höher war als die Ebene. Wir finden die Worte „θϙωσμός πεδίοιο“ ein drittes Mal in der Ilias XX, 1—3: „So, o Sohn des Peleus, um Dich standen die im Kampfe unersättlichen Achaeer neben ihren geschnäbelten Schiffen, und die Troianer standen dagegen ξπί θϙωσμώ πεδίοιο.“ Hier wird auch auf die bereits in der XVIII. Rhapsodie beschriebene Lagerstätte der Troianer hingewiesen, und der Vers XVIII, 256: „In der Ebene bei den Schiffen, denn wir sind ferne von der Mauer,“ zeigt, dass diese Lagerstätte in der flachen Ebene unweit der Schiffe war. Ich mache hier ganz besonders darauf aufmerksam, dass der Dichter an diesen drei Stellen die Lagerstelle der Troianer im Gegensatz zur Lagerstelle der Griechen nennt, welche letztere am Ufer des Hellespont war. Folglich ist die einzig mögliche Uebersetzung der Worte „θϙωσμός πεδίοιο“ die obere Ebene, welche, wie erwähnt, etwas ansteigt, aber keine Anhöhen oder Hügel hat.

Ich muss noch über die kegelförmigen Hügel der Troas sprechen, welche Heroen-Gräber genannt werden. Mehrere derselben waren ohne Zweifel bereits zur Zeit Homers vorhanden, denn er erwähnt die Gräber des Achilleus, der Myrine, des Aesyetes und des Ilos. Die beiden letzteren, welche der Dichter als zwischen Ilion und dem Hellespont, und somit in der flachen Ebene gelegen, beschreibt, sind ganz verschwunden. Folglich nach Homer waren diese kegelförmigen Hügel Gräber, und diese Meinung wird von der Tradition des ganzen Alterthums bestätigt, denn nach Strabo (XIII, 1) machten die Ilier Todtenopfer, nicht allein auf den Gräbern von Achilleus, Patroklos und Antilochos, sondern auch auf dem des Ajax. Nach Plutarch, Cicero und Aelianus opferte Alexander der Grosse auf dem Grabe des Achilleus. Nach Philostratos (Heroica I.) restaurirte Hadrian den auf dem Grabe des Ajax gelegenen Tempel, von welchem noch einige Ruinen vorhanden sind. Nach Dio Cassius opferte der Kaiser Caracalla auf dem Grabe des Achilleus und stellte Spiele an. Nach Herodianus (IV) scheint es, dass Caracalla seinen Patroklos zu haben wünschte, um das Leichenbegängniss nachzuahmen, welches Achilleus seinem Freunde Patroklos bereitete. Der plötzliche Tod seines trautesten Freundes Festus, welcher, wie Herodianus andeutet, vergiftet war, denn er sagt: „ώς μέν τινες ξλεγον φαϙμάχω άναιϙεθείς,“ veranlasste Caracalla, sein Leichenbegängniss auf glänzende Weise zu feiern, indem er haarklein das von Achilleus seinem Freunde Patroklos veranstaltete Leichenbegängniss nachahmte, welches von Homer so herrlich wie genau im XXIII. Gesänge der Ilias beschrieben wird. Darauf errichtete Caracalla über der Asche seines Freundes ein grosses kegelförmiges Grab. Wahrscheinlich ist dies der αγιος Δημήτϙιος Τεπέ genannte Tumulus, welcher auf dem hohen Ufer des Aegaeischen Meeres 2 engl. Meilen von Sigeion gelegen ist. Aber wir wissen bis jetzt nur, dass dieser eine, die Asche des Festus bergende Tumulus als Grab gedient hat, denn in keinem der bis dahin ausgegrabenen 6 Tumuli ist die Tradition durch die Kritik der Hacke bestätigt werden. Der Tumulus beim Dorfe Renkoï, welcher von Frederik Calvert ausgegraben ist, sowie der von seinem Bruder ausgegrabene Tumulus des Patroklos, enthielten keine Spur weder von Asche, noch von Holzkohle oder Knochen. Der eine der 3 kegelförmigen Hügel auf dem Plateau, beinahe am äussersten Ende der Höhen von Bunarbaschi, welcher in der Neuzeit allgemein als das Grab des Hektor angesehen worden war und der im October 1872 von dem berühmten Anthropologen Sir John Lubbock ausgegraben ist, enthielt keine Spur von Kohlen, Asche oder Knochen, aber er enthielt Massen von Scherben bemalter griechischer Vasen aus dem 3ten Jahrhundert v. Chr. Daher ist es unmöglich, dass die Chronologie dieses sogenannten Hektorgrabes über das 3te Jahrhundert v. Chr. hinausgehen könnte. Im April 1873 grub Frau Sophie Schliemann den jetzt Pascha Tepe genannten Tumulus aus, dessen Lage genau mit der Beschreibung stimmt, die uns Homer (Il. II, 811—815) vom Grabe der Βατίεια, der Frau von Dardanus giebt: „Vor der Stadt, seitwärts in der Ebene, ist ein gewisser hoher Tumulus, der umlaufbar ist; die Menschen nennen ihn Βατίεια, die Unsterblichen nennen ihn das Grab der schnell hüpfenden Myrine. Dort stellten sich die Trojaner und ihre Verbündeten gesondert auf.“ Frau Schliemann grub vom Gipfel dieses Tumulus einen 4eckigen Schacht von 15 Fuss Länge und 13 ½ Fuss Breite und erreichte in 15 Fuss Tiefe den naturwüchsigen Fels, in welchen sie noch über 1 Fuss tief vordrang. Sie fand in dieser Ausgrabung weder Spuren von Knochen, noch von Kohlen oder von Asche, und nur ungefähr 50 Scherben von vorhistorischen Vasen, die aber nicht zusammen, sondern in den verschiedenen Tiefen zerstreut gefunden wurden. Ich habe noch die Nachforschungen zu erwähnen, welche der französische Gesandte Choiseul Gouffier 1788 durch einen Juden in den dem Achilleus und dem Ajax zugeschriebenen Tumuli machen liess. In dem letzteren wurden nur die Ruinen des von Hadrian restaurirten Tempels gefunden, in ersterem dagegen mehrere relativ moderne bemalte griechische Vasen, sowie eine Statuette von Bronze aus römischer Zeit, und waren diese Gegenstände dort wahrscheinlich vorher von demselben Juden versteckt worden, um eine grosse Belohnung zu erlangen. Von Asche, Kohlen oder Knochen auch dort keine Spur. Folglich bleibt der Zweck dieser in der Troas gelegenen, schlechthin Heldengräber genannten künstlichen, kegelförmigen Hügel noch ein Räthsel.

In der Ebene von Troia, deren Topographie ich bis jetzt beschrieben habe, muss die Baustelle des homerischen Ilion gesucht werden.

Im ganzen Alterthum, bis zur Zeit der Diadochen, wurde die Identität der Baustelle des Ilion der griechischen Colonie mit der des homerischen Troia als bestimmte, über allen Zweifel erhabene Thatsache angesehen. Dies griechische Ilion war am Ende einer Bergkette gelegen, die sich weit in die Ebene ausdehnt, und seine Akropolis war unmittelbar daneben auf dem famosen Berge Hissarlik, welcher nach N. und W. den letzten Ausläufer jener Bergkette bildet und unter einem Winkel von 50° nach der Ebene abfällt.

Diese Akropolis bestieg Xerxes auf seinem Zuge nach Griechenland 480 v. Chr. Herodot (VII, 43) erzählt dies Ereigniss wie folgt: „Als die Armee den Skamander erreichte, den ersten Fluss nachdem sie Sardes verlassen hatte, wurde dessen Wasser getrunken und erschöpft und genügte nicht, den Durst der Menschen und Thiere zu befriedigen. Als Xerxes an diesen Fluss kam, stieg er zur Pergamos des Priamos hinauf, denn er hatte das Verlangen sie zu sehen, und nachdem er sie gesehen und sich nach ihren Schicksalen erkundigt hatte, opferte er der ilischen Minerva 1000 Ochsen, und die Magier gossen den Helden Trankopfer aus. Nachdem sie dies gethan hatten, verbreitete sich in der Nacht Schrecken im Lager, und bei Tagesanbruch zog das Heer ab und passierte zur Linken die Städte Rhoeteion, Ophrynion und Dardanos, welches an Abydos gränzt, und zur Rechten die Teukrer von Gergis.“ Diese Erzählung Herodots zeigt, dass es zu der Zeit eine Stadt Ilion gab mit einer Akropolis, die Pergamos genannt wurde und einen der ilischen Schutzgöttin geheiligten Tempel hatte; ferner dass die Identität dieser Stadt mit dem homerischen Ilion allgemein anerkannt war. Nach Strabo (XIII, 1) wurde Ilion und sein Tempel unter lydischer Herrschaft, also ungefähr 700 v. Chr., gebaut. Schon vor Herodot war die Identität dieses Ilion mit dem homerischen Troia von Hellanikos von Lesbos anerkannt. Ausserdem finden wir in der Ilias XX, 215: „Zeus erzeugte zuerst den Dardanos, welcher Dardania baute, denn das heilige Ilion, die Stadt von redekundigen Menschen, war noch nicht in der Ebene gebaut und sie (die Troianer} wohnten noch auf den Abstufungen des quellenreichen Ida.“ Diese Verse, welche Plato im 3ten Buch seiner Gesetze Cap. 4 erwähnt, sind uns von grossem Nutzen, um die Baustelle von Troia festzustellen. Homer sagt, dass Dardanos Dardania auf den Abstufungen des Ida baute, als Ilion (dessen Gründer nach Apollodoros Ilos war) noch nicht in der Ebene gebaut war. Nach Plato bewohnten die ersten Menschen, aus Furcht vor einer zweiten Sündfluth, die Gipfel der Berge; als sie anfingen Muth zu fassen, bauten sie ihre Städte auf den Bergabhängen, und in diesen Zeitabschnitt fällt die Gründung von Dardania. Im dritten Zeitabschnitt verliessen die Troianer die Berge und bauten Ilion in einer grossen und schönen Ebene, auf einem Hügel von geringer Höhe, in dessen Nähe mehrere Flüsse waren, die vom Ida strömten.

Der Hügel Hissarlik in der Ebene von Troia stimmt ausgezeichnet mit den Angaben Homers und Platos für die Lage Ilions. Zu diesen beiden grossen Classikern können wir gewisslich Aristoteles gesellen. Ab Alexander der Grosse Hissarlik besuchte und dort der ilischen Pallas Athene opferte, stimmte er nicht nur überein mit der gesammten Tradition, welche die Baustelle des homerischen Ilion mit der des spätern Ilion identificirte, sondern er stimmte auch Überein mit der Meinung des gelehrtesten der Griechen, Aristoteles, welcher sein Freund und sein Lehrer war. Aristoteles hatte viel die homerischen Gedichte studiert, und ohne Zweifel hatte er sich oft über die Lage Troias mit Alexander dem Grossen unterhalten, welcher ein grosser Bewunderer Homer’s war und zusammen mit Kallisthenes und Anaxarchos eine neue Ausgabe der Ilias und Odyssee gemacht hatte, die ζχ τού νάϙθηχος (aus der Kiste) genannt wurde. (Ravaisson, Rev. Arch. Decbr. 1874.)

Nach Livius opferten Antiochos der Grosse und Publius Scipio ebenfalls auf Hissarlik. Die Identität der beiden Ilion wird auch bestätigt von Justinus, Appianus, Ovid, Suetonius, Plinius, Tacitus und vielen anderen alten Schriftstellern. Auf Befehl Alexander’s des Grossen liess sich Lysimachos Ilion angelegen sein, umgab es mit einer 40 Stadien langen Mauer und baute ein prachtvolles Theater. Die ersten, welche sich gegen die Identität der beiden Ilion erhoben, waren Hestiaea von Alexandria-Troas und Demetrios von Skepsis (180 v. Chr.). Sie gaben vor, dass der ganze Raum, welcher Ilion vom Hellespont trennte, Alluvialboden, erst nach der Zerstörung Troias angeschwemmt, und dass folglich in der Nähe der Stadt nicht Raum genug sei für die grossen Ereignisse der Ilias. Hestiaca wusste die richtige Baustelle Troias nicht anzugeben, Demetrios aber verlegte sie aus den angeführten Gründen nach Ίλιέων Κώμη, 30 Stadien südlich von Ilion, bekannte aber, dass keine Spur von der alten Stadt erhalten sei. Nach Strabo (XIII, 1) behauptete Demetrios, dass nach der Zerstörung Troias seine Geburtsstadt, Skepsis, die Hauptstadt des trojanischen Reichs unter Aeneas geworden sei, und ist es klar, dass er Ilion um diese Ehre beneidete. Strabo nahm seine Theorie an, obwohl er nie die Ebene von Troia besuchte. Aber meine Ausgrabungen auf der Baustelle von Ίλιέων Κώμη haben bewiesen, dass dort so gut wie gar keine künstliche Schuttaufhäufung ist, und dass folglich dort niemals eine Stadt gestanden haben kann.

Das Problem der Baustelle des homerischen Ilion schlief während des ganzen Mittelalters und blieb in der Neuzeit unbeachtet, bis 1787 der Franzose Lechevalier die Troade besuchte und die Baustelle des homerischen Ilion auf den Höhen von Bunarbaschi, am Südende der Ebene von Troia, fand, obgleich er dort weder Ausgrabungen machte, noch ein Loch bohrte. Er identificirte auch die 40 kalten Quellen am Fusse dieser Anhöhen mit den beiden homerischen Quellen heissen und kalten Wassers, bei denen Hektor getödtet war. Diese Theorie ist von fast allen Archaeologen angenommen worden, welche seit jener Zeit die Ebene von Troia besucht haben, bis im Mai 1864 der verstorbene oesterreichische Consul von Hahn, der Architect Ziller und der Astronom Schmidt am Ende jener Höhen die Baustelle einer kleinen, von kyklopischen Mauern umgebenen Stadt blosslegten, welche gerade halb so gross ist als die Akropolis von Athen und von allen Anhängern der Theorie Lechevalier’s als die Pergamos Troia’s angesehen worden war. Aber diese Ausgrabungen brachten nicht eine einzige archaische Topfscherbe und nur Bruchstücke von bemalten griechischen Vasen vom 2ten bis zum 5ten Jahrhundert vor Chr. zum Vorschein und können daher die kyklopischen Mauern der Stadt unmöglich älter sein. Es giebt überdies in der Geschichte der kyklopischen Mauern verschiedene Zeitabschnitte, und während jene von Tiryns jedenfalls zum ersten Zeitabschnitt gehören, gehören die von Mykene zum zweiten, viele andere zum dritten und vierten, und lässt sich von mehreren kyklopischen Mauern Griechenlands geschichtlich nachweisen, dass sie aus diesem letzteren, ins 5te Jahrhundert v. Chr. zu verlegenden Zeitabschnitte stammen, zu welchem auch ihrer ganzen Bauart nach die in Rede stehenden kyklopischen Mauern am Ende der Höhen von Bunarbaschi gehören.[1] Ausserdem ist dort die Schuttaufhäufung nur höchst geringfügig; an vielen Orten auf der Baustelle sieht man sogar den geebneten natürlichen Fels und nur an einer Stelle hat die Schuttaufhäufung eine Tiefe von 6 Fuss. Endlich, eine von mir 1873 aufgegrabene Inschrift, welche Seite 240-246 meines Werks „Troy and its Remains“ ed: John Murray publicirt ist, beweist, dass die kleine Stadt Gergis ist. Unmittelbar vor derselben sind jene vorerwähnten 3 kegelförmigen Tumuli, deren einer von Sir John Lubbock ausgegraben ist. Zwischen diesen sogenannten Heldengräbern und den 40 Quellen, auf einer Strecke von 1½ engl. Meilen, habe ich an mehr als 1000 Stellen Nachforschungen angestellt, aber nirgends habe ich etwas anderes gefunden als den reinsten Urboden; nirgends eine Spur von Töpferwaaren oder Ziegeln; überall der naturwüchsige, spitze oder steile und immer unebene Fels, der augenscheinlich niemals von Menschenhand berührt ist. Somit ist es sonnenklar, dass diese ganze Strecke niemals von Menschen bewohnt worden ist. Ausserdem ist Gergis, am Ende der Höhen, 10 Meilen und sind die 40 Quellen am Fusse von Bunarbaschi 8½ Meilen vom Hellespont entfernt, während die ganze Ilias beweist, dass die Entfernung zwischen Ilion und dem Hellespont nur klein war und unmöglicherweise mehr als 2½ Meilen betrug, und dies ist ganz genau die Entfernung zwischen Hissarlik und dem Hellespont.

Nachdem ich auf den Höhen von Bunarbaschi eine Masse von negativen Beweisen gesammelt hatte, untersuchte ich so genau als möglich die ganze Ebene von Troia und überzeugte mich, dass das homerische Ilion unmöglich irgendwo anders gelegen haben könne als auf der Stelle des Ilion der griechischen Kolonie, und dies in vollkommner Uebereinstimmung mit der Meinung des ganzen Alterthums. Nach meiner Vermuthung lag des Priamos Pergamos in den Tiefen des Berges Hissarlik verborgen, welcher, wie bereits erwähnt, dem spätern Ilion als Akropolis gedient hat, und ich machte daher dort im April 1870 kleine Ausgrabungen, deren Resultat so ermuthigend war, dass ich dort nach Erlangung der nöthigen Erlaubniss 1871 grosse Ausgrabungen veranstaltete, welche ich 3 Jahre lang mit 100 bis 160 Arbeitern fortsetzte. Ueberall auf dem Plateau von Hissarlik fand ich, unmittelbar unter der Oberfläche, die Fundamente und Massen anderer Ruinen von hellenischen Gebäuden, wovon einige aus behauenen Kalksteinen mit, die anderen ohne Cement oder Kalk gebaut sind. Im Allgemeinen fand ich Cement oder Kalk als Bindemittel nur in den Ruinen bis zu einer Tiefe von 3 Fuss unter der Oberfläche, und die ältesten archaischen Trümmer nur bis 6 Fuss Tiefe. Aber am Rande der Abhänge, wo der Urboden einst bedeutend niedriger gewesen ist, fand ich die hellenischen Trümmer verhältnissmässig bis zu einer grösseren Tiefe. Die wichtigsten Gebäude, welche ich in dieser Schicht hellenischer Ruinen fand, sind die Tempel des Apollo und der Minerva; ersterer ist ganz zertrümmert und kein Stein davon ist an seiner Stelle. Er war in dorischem Styl gebaut und prächtig; dies beweist der dorische Triglyphenblock, welchen ich unter seinen Trümmern entdeckte; derselbe hat eine Metope, die in hohem Relief den Sonnengott mit 4 Pferden darstellt und ein grosses Meisterwerk aus der ersten Diadochenzeit ist. (Ich sandte Gypsabgüsse davon an alle grösseren Museen Europas.) Wir können daher annehmen, dass der Apollotempel von Lysimachos ungefähr 306 v. Chr. gebaut ist.

Von dem Minervatempel sind alle Fundamente und ein Theil der Mauern erhalten, welche theils aus grossen behauenen, ohne Cement zusammengelegten, theils aus kleinen, durch Cement verbundenen Steinen bestehen. Daraus schliesse ich, dass dieser Tempel auch von Lysimachos gebaut, aber von Fimbria 85 v. Chr. zerstört und von Sulla wiederaufgebaut ist. Er ist 317 Fuss lang und 73 Fuss breit. Unter den vielen hier gefundenen Inschriften erwähne ich nur die wichtigste, welche 74 Schriftzeichen hat, sehr wohl erhalten ist und 3 Briefe vom Antiochos I. (281—260 v. Chr.) an Meleager, den Satrapen der Satrapie des Hellespont und einen Brief von diesem an die Ilier enthält. Durchaus irrig ist die von mehreren deutschen Archaeologen gemachte Behauptung, dass die ältesten Trümmer dieses griechischen Ilion nur bis zur Zeit Alexanders des Grossen hinaufreichen. Die Besucher von Hissarlik können mit gar leichter Mühe aus den Wänden meiner Ausgrabungen, circa 6 Fuss unter der Oberfläche, Tausende archaischer Topfscherben herausziehen, welchen kein Archaeologe zögern wird ein Alter von 600 bis 700 Jahren vor Christi Geburt zuzuschreiben, und viele derselben müssen noch gar viel älter sein; so z. B. das Seite 55 meines Werks „Troy and its Remains“ (ed. John Murray) abgebildete Bruchstück einer bemalten Vase, welches eine geflügelte Figur mit sehr langer Nase und einer phrygischen Mütze mit ungewöhnlich langem Zipfel darstellt und aus dem 9ten oder lOten Jahrhundert vor Christus sein mag. In einer durchschnittlichen Tiefe von 6 bis 7 Fuss sammelte ich 70 glänzend rothe oder schwarze Gefässe verschiedener Form, theils mit, theils ohne eingeschnittene, mit weissem Thon ausgelegte Verzierungen; auch eine grosse Anzahl von runden Terracotta-Stücken in Form von Kuchen mit zwei Durchbohrungen am Rande und einem sehr schönen Stempel in der Mitte, in welchem man entweder einen Mannskopf mit Helm, oder einen Stier, oder eine Biene mit ausgebreiteten Flügeln über einem Altar und dergleichen mehr sieht. Drei der vorerwähnten Gefässe sind Seite 172 und 229 meines genannten Werks unter N. N. 138, 139 und 160, und 4 der runden Stücke auf Seite 65 abgebildet. Diese Terracotten sind ganz bestimmt weder hellenisch noch vorhistorisch. Viele der schwarzen Gefässe mit zwei grossen und hohen Henkeln haben in Form und Farbe eine sehr grosse Aehnlichkeit sowohl mit den im alten Albano bei Rom gefundenen Terracotten, wovon das Brittische Museum mehrere Exemplare hat, als auch mit den auf der Gräberstätte von Szihalom in Ungarn gefundenen Gefässen, die im Museum zu Pest aufbewahrt werden. Unterhalb der Ruinen des griechischen Ilion, nämlich in 6 ½ bis 13 Fuss Tiefe unter der Oberfläche, fand ich die Trümmer einer vorhistorischen Stadt, deren Häuser von Holz gewesen sind. Die verkohlten Trümmer und die Abwesenheit von Steinen lassen kaum einen Zweifel darüber. Alle Töpfe und Vasen, welche ich dort sammelte, sind aus der Hand gemacht, d. h. ohne Hülfe des Töpferrades; die Terracotta ist entweder roth, schwarz, grün oder grau, aber es findet sich keine Spur einer wirklichen Färbung. Ich fand dort auch Tausende von Gegenständen aus Terracotta in Form von Spindeln, welche in der Mitte ein Loch haben und auf einer Seite oder auf beiden Seiten mit eingeschnittenen religiösen[WS 3] Symbolen versehen sind. Diese letzteren sind mit weissem Thon gefüllt, damit sie in die Augen fallen. Ohne Zweifel haben diese brummkreiselförmigen Gegenstände als Opfergaben oder Weihgeschenke an die Götter gedient, besondere an die ilische Schutzgöttin Minerva, die homerische θεά γλαυχώπις Άθήνη, deren Bild ich dort sehr oft fand. Die meisten dieser Bilder sind reliefartig modellirt auf den Vasen, welche alle charakteristischen Abzeichen dar Göttin, 2 Flügel, ein Eulengesicht und eine Art von Helm haben, auf dem das Frauenhaar angegeben ist. Dass die Flügel nicht als Griffe dienen, sondern wirkliche Flügel darstellen sollen, das beweisen die ausser denselben an vielen Vasen befindlichen Henkel. Aber viele Vasen haben nur die charakteristischen Abzeichen der Frau, 2 Flügel und einen graden Hals, auf welchen der mit einem Eulengesicht und Helm versehene Deckel passt. Ich fand dort auch eine grosse Menge flacher, dünner Idole von Knochen oder Marmor mit einem eingeschnittenen Eulengesicht und mit oder ohne Frauengürtel. Auf vielen dieser Idole war das Eulengesicht bloss mit schwarzem oder rothem Thon gemalt. Steinerne Werkzeuge fand ich nicht in diesem obern vorhistorischen Stratum, nur einige ovale Handmühlsteine von Trachyt, 12—16 Zoll lang und 6—7 Zoll breit, deren eine Seite flach ist; ich fand dort ausserdem Sägemesser von Silex. Von Metall fand ich nur gerade oder krumme Messer, einige Pfeile und einige Streitäxte mit zwei Schneiden, sowie viele Haarnadeln in Form langer dünner Nägel: alle diese letzteren Sachen von Bronze nach der Analyse von Damour in Lyon, und von reinem Kupfer nach der Analyse von Landerer in Athen. In einer Tiefe von 13 bis 23 Fuss fand ich die Trümmer einer noch viel älteren vorhistorischen Stadt, die von kleinen mit Erde vereinigten Steinen erbaut war. Es sind die Gerippe aller Häuser erhalten, so dass die Stadt, gleichwie Pompeji, ausgegraben werden könnte. Ich fand in den Trümmerschichten dieser Stadt eine sehr grosse Menge steinerner Hämmer, Aexte, Streitäxte, Handmühlsteine, Gewichte, Sägemesser u. s. w., aber gleichzeitig mit diesen Werkzeuge und Waffen von Bronze und unzählige verzierte, durchbohrte Brummkreisel verschiedener Form; ebenso Massen von aus der Hand gemachten Töpfen und Vasen phantastischer Form, deren Fabrikat eine grössere Civilisation bezeugt. Auch Massen kleiner Meermuscheln, sowie Rückgratwirbel von Haifischen, welche beweisen, dass diese Ungeheuer einst im Ueberfluss in diesen Meeren vorhanden waren, während sie jetzt vollkommen daraus verschwunden sind. Ich fand dort ausserdem sehr viele Eberzähne.

Unterhalb dieser Stadt entdeckte ich, in einer Tiefe von 23—33 Fuss, eine noch viel ältere Stadt, welche augenscheinlich in einer furchtbaren Katastrophe durch Feindes Hand zerstört ist. Die verkohlten Trümmer aller Häuser, die Schicht von Schlacken von geschmolzenem Blei und Kupfer, welche sich über die ganze Stadt ausdehnt, die Schätze von Gegenständen aus Gold und Silber, welche auf verschiedenen Stellen gefunden wurden, und endlich die Skelette von Menschen, alle diese Dinge lassen keinen Zweifel darüber. Die ungeheure Menge von Vasen und Töpfen phantastischer Form, welche ich in den Ruinen dieser Stadt sammelte, zeigen dieselbe Fabricationsweise wie die Terracotten der vorhergehenden Stadt, tragen jedoch das Gepräge grösserer Kunst und Civilisation; auch wurden hier viele neue Typen gefunden. Während alle die Tausende von den in diesem Stratum gefundenen Vasen, Töpfen, Schüsseln u. s. w. von Terracotta aus der Hand gemacht sind, entdeckte ich mehr als hundert auf der Töpferscheibe gedrehte, sehr roh gemachte Terracotta-Teller, wie die S. 114 und 215 meines Werks abgebildeten. Diese Teller sind die einzigen Erzeugnisse des Töpferrades in den vorhistorischen Städten Hissarliks, denn keine der beiden oberen Nationen, deren Ruinen ich beschrieben, hat das Töpferrad angewandt. Ich erwähne hier, dass die troianischen Vasen mit nur wenigen Ausnahmen an jeder Seite ein senkrechtes Röhrchen, und in derselben Richtung ein Loch im Munde und im Deckel haben, um aufgehängt oder an einer Schnur getragen zu werden; die meisten Vasen haben 3 Füsse; viele andere haben eine convexe Basis, so dass sie gar nicht stehen können, ohne angelehnt oder in den Sand gestellt zu sein. Die Wichtigkeit dieser Stadt offenbart sich besonders in ihrer mächtigen Ringmauer, ihrem grossen Thurm, ihrem doppelten Thor und dem grossen Hause ihres letzten Herrn oder Königs, welches unmittelbar vor diesem Thor liegt. Alle diese Bauten bestehen aus mit Erde verbundenen unbehauenen Steinen, während die übrigen Häuser der Stadt aus ungebrannten Ziegeln gebaut waren, welche an vielen Stellen durch die Feuersbrunst in gebrannte Ziegel verwandelt sind. In dieser Stadt entdeckte ich, in einer Tiefe von 28 bis 31½ Fuss, 3 Schätze, wovon die beiden kleinern von meinen Arbeitern gestohlen und versteckt, später aber von der türkischen Regierung in Besitz genommen und im Museum in Constantinopel ausgestellt wurden. Der eine derselben bestand, nach dem Levant Herald von Ende December 1873, in einem 5 bis 6 Pfund wiegenden und mit Holzkohlen vermischten Klumpen Gold, der augenscheinlich von in der Freuersbrunst zusammengeschmolzenen Schmucksachen herrührte. Der andere Schatz bestand aus verschiedenen goldenen Schmucksachen, die in einer mit einem Deckel versehenen und mit Erde wohl verkitteten Vase mit Frauenkörper, Flügeln und Eulengesicht enthalten waren. Den dritten und bei Weitem grössten Schatz entdeckte ich selbst auf der grossen Ringmauer, dicht neben dem Hause des Stadtherrn oder Königs. Er besteht aus einem grossen kupfernen Nabelschild, einer grossen kupfernen Casserole mit zwei horizontalen Griffen, einer mit zwei unbeweglichen Radern (die als Haspen gedient haben müssen) versehenen langen kupfernen Platte, auf welcher in der Feuersbrunst eine silberne Vase festgelöthet ist, einer grossen runden Flasche aus reinem Golde, einem sehr grossen goldenen Becher in Form eines Schiffs, der nichts anderes sein kann als das homerische δέπας άμφιχύπελλον[2]; er hat einen grossen und einen kleinen Mund und zwei mächtige Griffe. Ich glaube, dass Aristoteles (Hist. animal. IX, 40) sich irrt[WS 4], wenn er sagt, dass die Bienenzelle die Gestalt eines άμφιχύπελλον hat. Die grösste, ja die erhabenste Autorität für Erklärung der homerischen Texte muss nothwendigerweise Homer selbst sein, und da bei ihm (wie z. B. Odyss. III, 41, 46, 50 und 63 und XXII, 9—10 und 86) das δέπας άμφιχύπελλον stets synonym ist mit άλεισον άμφωτον; welches unmöglich etwas anderes bedeuten kann als „Becher mit zwei Henkeln“, so kann auch δέπας άμφιχύπελλον unmöglich etwas anderes bedeuten als dies. Indem Athenaeos (Deipnos. 783) vom homerischen δέπας άμφιχύπελλον spricht, erwähnt er gar nicht die Meinung des Aristoteles, sagt aber dass nach der Meinung des Asklepiades, des Myrleaniers, unter άμφιχύπελλον nichts anderes zu verstehen ist als dass der Becher „άμφίχνϙτον“ ist. Der folgende Satz aber lässt keinen Zweifel darüber, dass unter letzterem Worte „mit zwei Henkeln“ zu verstehen ist, und findet man dies auch in Franz Passow’s griechischem Lexikon bestätigt. Solche δέπα άμφιχύπελα aus Terracotta fand ich in allen drei oberen vorhistorischen Städten und sammelte mehr als hundert davon. Wegen ihres spitz zulaufenden Fusses können sie nur auf den Mund hingestellt werden. Ihre Form ist sehr praktisch, da derjenige, der einen solchen Becher gefüllt in der Hand hat, gezwungen ist ihn zu leeren; und da er nur auf den Mund hingestellt werden kann, so bleibt er immer rein.

Ich fand ausserdem im Schatz sechs lange, flache Klingen reinsten Silbers, deren eines Ende rund, deren anderes in Form eines Halbmondes ausgeschnitten ist. Höchst wahrscheinlich sind dies die Talente, welche so oft von Homer erwähnt werden und welche nur klein sein konnten, denn Achilles setzt (Il. XXIII, 262—270) als ersten Kampfpreis eine Frau, als zweiten ein Pferd, als dritten eine Casserole oder einen Kessel, als vierten 2 Talente und als fünften eine φιάλη άμφίθετος, d. h. eine Schale mit 2 Henkeln. Ich fand ferner in dem Schatz 4 grosse silberne Vasen mit einer halbkugelförmigen Basis; auf einer derselben ist in der Feuersbrunst der obere Theil einer anderen festgelöthet. Die grösste silberne Vase enthielt zwei prachtvolle goldene Diademe, welche, wie Herr W. E. Gladstone, der frühere Premierminister von England, meint, die homerischen πλεχτάί άναδέσμαι sind; sie sind mit 100 Idolen der Minerva mit Eulengesicht verziert. Die Vase enthielt ferner ein goldenes Stirnband, wahrscheinlich άμπυξ von Homer genannt, 4 sehr künstliche lange goldene Ohrringe mit Idolen, 56 goldene Ohrringe von sehr phantastischer Form, 6 goldene Armbänder, 8750 kleine durchbohrte Gegenstände von Gold in Gestalt von Prismen, Würfeln, Wagenachsen u. s. w., wovon die meisten mit 8 oder 16 eingravirten Linien verziert sind. Die grosse silberne Vase enthielt ferner 2 Becher, von denen der eine von Gold, der andere von Elektron war. Ich fand ausserdem im Schatz 2 herrliche silberne Vasen mit Röhrchen an den Seiten zum Aufhängen mittels einer Schnur, 13 Lanzen, 14 Streitäxte, 7 Dolche, ein langes Messer, die Bruchstücke eines Schwertes und eine Waffe unbekannten Gebrauchs — diese letzteren Stücke von Bronze. Alle diese Gegenstände des Schatzes waren einst in einer, natürlich längst verschwundenen, viereckigen hölzernen Kiste enthalten, deren Gestalt sie bewahrt hatten. Ausserdem beweist der zusammen mit dem Schatze gefundene grosse kupferne Schlüssel die einstige Existenz der Kiste. Es scheint, dass während der schrecklichen Katastrophe der Stadt der eine oder andere von der Familie des Herrn oder Königs es versucht hat mit dem Schatze zu entfliehen, dass er aber, sei es durch die Feuersbrunst, sei es durch den Feind, gezwungen worden ist, denselben auf der Mauer zurückzulassen. Ich fand in den Zimmern des Palastes des letzten Stadtherrn oder Königs eine sehr grosse Menge herrlicher Vasen, unter anderen eine zweiundsechzig Centimeter hohe, welche die Minerva mit Eulengesicht, einem grossen Halsbande und schön graviertem Gürtel darstellt (Tafel I, Fig. 2).

Hier muss ich anhalten und auf die Bedeutung des homerischen Epitheton „γλαυκῶπις“ eingehen. Professor Max Müller behauptete in der Academy vom 10. Januar 1874: „Was γλαυκῶπις auch bedeuten mag, es kann nicht „eulenköpfig“ bedeuten, es sei denn dass wir annehmen, dass Hera βοῶπις als ein kuhköpfiges Ungeheuer dargestellt worden ist.“ Ich habe zwar in meinen Ausgrabungen in Troia 3 prächtige Kuhköpfe mit langen Hörnern von Terracotta gefunden und glaube, dass sie von Idolen der Hera stammen, kann dies aber nicht beweisen. Dagegen aber lässt sich beweisen, dass diese Göttin einst mit einem Kuhgesicht dargestellt wurde, von dem ihr homerisches Epitheton βοῶπις stammt. Als im Kampfe zwischen den Göttern und den Riesen jene Thiergestalten annahmen, wählte Hera die Gestalt einer weissen Kuh (nivea Saturnia vacca: Ovid. Met. V, 330). Wir sehen einen Kuhkopf auf den Münzen der Insel Samos, welche den ältesten Tempel der Hera hatte und durch den Cultus dieser Göttin berühmt war (Mionnet, Descr. des médailles ant. pl. XI, 6). Wir finden ferner den Kuhkopf auf den Münzen von Messene, einer samischen Kolonie in Sicilien (Millingen, Anc. Coins of Greek Cities, Tafel II, 12). Die Verwandtschaft der Hera mit der Kuh wird ferner durch den Namen Εὔβοια bewiesen, welcher ihr Epitheton (Paus. II, 22, 1 und 2), ferner der Name einer ihrer Ammen, (Plut. quaest. symp. 3, 9, 2; Et. M. 388, 56) und der Name der Insel war, wo sie erzogen wurde (Plut. fr. Daedal. 3). Aber im Namen Εὔβοια ist das Wort βοῦς enthalten. Hera hatte in Corinth das Epitheton βουναία (Paus. II, 4, 7), in welchem das Wort βοῦς gleichfalls enthalten ist. Weisse Kühe wurden der Hera geopfert (Paus. IX, 3, 4; Hesych. ἄγαν χαλκεῖος). Die Priesterin fuhr mit einem Gespann von zwei weissen Stieren zum Tempel der Argivischen Hera (Herod. I, 31). Io, die Tochter des Inachos, wurde von Hera in eine Kuh verwandelt (Lucian. θεῶν διάλ. 3; Diod. Sic. I, 24, 25; Herodot II, 41). Io war Priesterin der Hera (Aesch. Suppl. 299; Apollod. II, 1, 3), und wurde wie die Kuhgöttin Hera dargestellt (Creuzer, Symbolik II, 576). Die egyptische Göttin Isis war in Argos geboren und wurde mit der kuhförmigen Io identificirt (Diod. Sic. I, 24, 25; Apollod. II, 1. 3; Hygin. 145); sie (Isis) wurde in Egypten als eine Frau mit Kuhhörnern dargestellt, wie Io in Griechenland (Herod. II, 41). Hera ist jedenfalls identisch mit Isis, mit Io und mit Demeter Mykaleasia, welche ihr Epitheton „die brüllende“ von ihrer Kuhform und ihrem Tempel in Mykalessos in Boeotien hatte; sie hatte als Pförtner den Herakles, dessen Amt es war ihr Heiligthum am Abend zu schliessen und am Morgen wieder zu öffnen (Paus. IX, 19, 4). Somit ist sein Dienst ganz gleich dem des Argos, welcher die kuhförmige Io am Abend an den Olivenbaum festbindet und sie am Morgen wieder löst (Ovid. Metam. I, 630); dieser Olivenbaum war im heiligen Haine von Mykenae, ganz nahe beim Ἡραῖον (Apollod. II, 1, 3). Die argivische Hera hatte als Symbol der Fruchtbarkeit einen Granatapfel, welcher, ebenso wie die Blumen, womit ihre Krone geschmückt war, ihr einen tellurischen Charakter gab (Panofka, Argos Panoptes, Tafel II, 4; Cadalvène, Recueil de Méd. gr. Tafel III, 1; Müller, Denkm. XXX, 132; Duc de Luynes, Etudos numismat. pp. 22-25). Ganz ebenso wie in Boeotien das Epitheton Mykalessia, die „brüllende“, (welches von μυκάω stammt), der Demeter wegen ihrer Kuhform gegeben wurde, ganz ebenso wurde in der Ebene von Argos der Name Μυκῆναι, welcher ebenfalls von μυκάω stammt, der Stadt gegeben, die Hera als Schutzgöttin hatte und durch ihre Verehrung besonders berühmt war. Dies ist aber nur durch ihre Kuhgestalt erklärbar. Aus der pelasgischen Mondgöttin Io entstand sowohl die egyptische Mondgöttin Isis als die argivische Göttin Hera, und Io verblieb der alte Mondname in den religiösen Mysterien zu Argos (Eustath. in Dionys. Perieg., 94; Jablonsky, Panth. II, p. 4 ff). Die Kuhhörner sowohl der pelasgischen Mondgöttin Io, aus welcher später die argivische Hera entstand, die vollkommen mit ihr identisch ist, als auch die der Isis waren den symbolischen Hörnern der Mondsichel entlehnt (Diod. Sic. I, 11; Plut. de Is. et Os. 52, vergl. Plut. ibid. c. 39; Macrob. Sat. I, 19; Aelian. Anim. X, 27). Ohne Zweifel hatte die pelasgische Io, die spätere Hera, einst ausser ihren Kuhhörnern auch ein Kuhgesicht. Hera hatte unter ihrem alten pelasgischen Mondnamen Io einen berühmten Tempel auf der Baustelle von Byzantion, welche Stadt von ihrer Tochter Keroëssa, d. h. der gehörnten, gegründet wurde. (O. Müller, Dorier I, S. 121; Steph. Byz. Βυξάντιον). Ist nicht der Halbmond, als Symbol des türkischen Reichs, eine Erbschaft von Byzantions Gründerin Keroëssa, der Tochter der Mondgöttin Io (Hera)? Wie dem auch sein mag, niemand kann in Betracht der vorhergehenden langen Reihe von Beweisen und Thatsachen daran zweifeln, dass Hera’s homerisches Epitheton βοώπις auf ihr einstiges Kuhgesicht hinweist, ebenso wie Athene’s homerisches Epitheton γλαυχώπις beweist, dass diese letztere Göttin einst ein Eulengesicht gehabt hat. Aber in der Geschichte dieser beiden Epitheta βοώπις und γλαυχώπις sind offenbar drei Zeitabschnitte, in denen sie einen verschiedenen Sinn hatten. In ihrem ersten Zeitabschnitt bildete man sich, wie Professor Max Müller sehr richtig bemerkt, den idealen Begriff der beiden Göttinnen und gab ihnen ihre Namen, in welchen die Epitheta nur rein ideal oder figurativ waren. Hera (Io), als Mondgöttin, muss ihr Epitheton βοώπις von den symbolischen Hörnern des Halbmondes und dessen schwarzen Flecken erhalten haben (in welchen wir als Kinder ein Gesicht mit grossen Augen zu sehen glaubten), während Athene als Göttin Aurora ohne Zweifel ihr Epitheton γλαυχώπις erhalten hat, um die Dämmerung der ersten Morgenröthe auszudrücken. Ich mache hier besonders aufmerksam auf die Terracotta-Kugel LII. N. 497, a. b. c. in John Murray’s Ausgabe meines Werks „Troy and its Remains“. Diese Kugel ist an und für sich schon ein vollkommener Beweis für die Wirklichkeit der Eulengesichter und sie giebt gleichzeitig den Schlüssel zu diesen symbolischen Darstellungen, denn wir sehen dort in der Mitte die Eule beinahe im Monogramm; sie hat aber nichtsdestoweniger das Haupthaar deutlich angegeben und zwei ausgestreckte Arme, von denen der linke sogar seine Hand hat. Rechts von der Eule ist die Sonne, links der Mond, unten ist der Morgenstern: somit ist die Darstellung vollkommen, und sie zeigt hinlänglich, dass die himmlische Eule die Aurora ist, welche zwischen der Sonne und dem Monde gen Himmel steigt. In dem 2ten Zeitabschnitt der Geschichte der beiden Epitheta wurden die Göttinnen durch Idole dargestellt, in welchen der frühere bloss ideale Begriff der Epitheta vergessen und diese in ein Eulengesicht für Athene und ein Kuhgesicht für Hera materialisirt wurden. Zu diesem 2ten Zeitabschnitt gehören alle vorhistorischen Städte und alle Idole zu Hissarlik. Ich wage die Behauptung dass es ganz unmöglich ist, eine solche Frauen-Figur mit Flügeln, Helm und Eulengesicht durch irgend ein anderes Epitheton zu beschreiben als durch γλαυχώπις. Das Wort πϙόσωπον für Gesicht, welches so oft im Homer vorkommt und wahrscheinlich Jahrtausende älter ist als der Dichter, kommt niemals in zusammengesetzten Wörtern vor, während Wörter mit dem Suffix ειδης sich auf die Aehnlichkeit im Allgemeinen beziehen. Somit, falls Athene das Epitheton γλαυχοειδης hätte, so würden wir unmöglich etwas anderes darunter verstehen als dass die Göttin die Gestalt und Form der Eule hatte.

Der 3te Zeitabschnitt in der Geschichte der beiden Epitheta βοώπις und γλαυχώπις ist der, in welchem, nachdem Hera und Athene ihrer Kuh- und Eulengesichter beraubt waren und Frauengesichter erhalten hatten, und nachdem die Kuh und die Eule die Attribute dieser Göttinnen geworden und als solche ihnen zur Seite gestellt waren, βοώπις und γλαυχώπις, als durch den Gebrauch der Jahrhunderte geheiligt, auch fernerhin die Epitheta der Göttinnen blieben, aber wahrscheinlich fortan nur die Bedeutung „grossäugig und eulenäugig“ hatten. In diesen 3ten und letzten Zeitabschnitt gehören die homerischen Gesänge.

Es ist wiederholt behauptet worden, dass die eulengesichtigen troianischen Vasen und Idole nicht die γλαυχώπις Άθήνη darstellen können, da ähnliche Vasen und Idole mit Eulengesichtern in Deutschland gefunden seien. Dies ist aber ein grosser Irrthum. Die beiden kleinen Gesichtsvasen im Museum in Breslau sind unecht und noch nicht 25 Jahre alt, und alle in den übrigen Museen Deutschlands verteilten Gesichtsvasen, im Ganzen 57 an Zahl, stammen ohne Ausnahme aus der Pommerellen genannten Gegend Westpreussens. Diese sind aber himmelweit von den trojanischen Gesichtsurnen verschieden, denn, während letztere stets mit Schamtheil, zwei Brüsten, zwei Flügeln, einem nicht zu verkennenden Eulengesicht mit hoch hervorstehenden Augenbraunen und mit einem Helm dargestellt sind, auf dem das Frauenhaar angegeben ist, und während alle diese Theile der Figur aus dem Thon der Vase selbst und mit dieser zusammen modellirt worden sind, sind bei den Pommerellischen Urnen die Gesichter erst aufgesetzt, nachdem diese schon vollkommen fertig aber noch nicht gebrannt waren, und zeigt ein jedes derselben, dass der Fabrikant kein Vogel-, sondern ein Menschengesicht hat darstellen wollen. Man sieht dies sowohl daran dass, mit einer einzigen Ausnahme, stets die Augenbraunen fehlen, als auch daran, dass nur höchst selten der Mund fehlt, der sogar oft Zähne hat, ferner an den 2, 3, 4, 5 und 6 Mal durchbohrten und mit Ohrringen von Eisen und Bronze, mit Glas- und Bernsteinperlen verzierten Ohren, sowie an dem Fehlen der hier natürlich nie vorkommenden Flügel. Und was nun gar das Alter dieser Pommerellischen Gesichtsurnen betrifft, so erlauben uns die Glasperlen und das Eisen, mit denen sie stets zusammen gefunden werden, keinenfalls, sie über den Anfang unserer Zeitrechnung oder alleräusserst über 100 Jahre vor Christus hinaufzurücken, während selbst die neuesten troianischen Eulengesichtsurnen um mehr als 2000 Jahre älter sein müssen. Diese können daher unmöglich zu jenen in irgend welcher Beziehung stehen.

Ebensowenig können mit den troianischen Eulengesichtsurnen das Geringste gemein haben die mehrfach am Rhein und vielfach in Italien vorkommenden römischen Gesichtsurnen, welche, ebensowenig wie die pommerellischen Vasen irgend eins der charakteristischen Zeichen der troianischen haben. Noch muss ich hervorheben, dass alle pommerellischen Gesichtsurnen ohne Ausnahme als Leichenurnen gebraucht sind, während die troianischen wegen ihrer geringen Grösse und ihres engen Halses nur als Idole oder sonst irgendwie bei der Gottesverehrung angewandt sein können.

In Bestätigung dessen was ich über den symbolischen Charakter der auf den troianischen Terracotten eingeschnittenen Verzierungen gesagt habe, will ich hier nur auf N. 379, Tafel XXIX meines Buchs (ed: John Murray) aufmerksam machen. Wir sehen dort deutlich das Gestirn des grossen Bären auf dem Rücken eines Thiers mit offenem Maul und hervorstehender Zunge; es sind da noch zwei andere himmlische Thiere, ein Altar, ein Blitz und 4 卍.

Da die Stadt augenscheinlich sehr reich war und in einer furchtbaren Katastrophe durch Feindes Hand zerstört wurde, da in derselben ferner die grosse Ringmauer sowie der grosse Thurm mit dem doppelten Thor gefunden ist, dessen Lage vollkommen mit der des homerischen Skaeischen Thors übereinstimmt, da ausserdem die Stadt in den Tiefen des Berges Hissarlik liegt, den die Tradition des ganzen Alterthums als die Baustelle des homerischen Troia bezeichnete: so kann es durchaus keinem Zweifel unterliegen, dass dies wirklich die von Homer besungene und von den Griechen zerstörte Stadt, dass dies das Ilion unsterblichen Ruhmes ist. Aber alle die Tausende von Gegenständen, die ich dort fand, gehören einem so hohen Alterthum an, dass die von Homer besungene Belagerung und Zerstörung wahrscheinlich 1500 bis 2000 Jahre vor seiner Zeit stattfand. Homer kann unmöglich eine Spur von Troia gesehen haben, denn zu seiner Zeit waren die Trümmer der troianischen Häuser, die grosse Ringmauer und der grosse Thurm mit einer Schuttdecke von 20 bis 27 Fuss Dicke bedeckt. Der Dichter machte keine Ausgrabungen, um diese Monumente ans Licht zu bringen. Seine Beschreibung von Ilion ist daher höchst oberflächlich und dunkel. Er kannte alle Umstände von Troias tragischem Ende lediglich aus der Ueberlieferung, denn dieselben waren vor seiner Zeit von hunderten von Rhapsoden besungen. Wenn uns die homerischen Gesänge allein erhalten sind, so ist es lediglich dem Umstande zuzuschreiben, dass sie die schönsten und erhabensten von allen waren. Indem Homer das furchtbare Ereigniss der Zerstörung Troias besingt, beschreibt er uns die Welt, die Menschen, die Götterverehrung, die Sitten, die Gebräuche, die Gewerbe und deren Produkte ganz so, wie er sie sah; alle Menschen, die er uns handelnd vorführt, müssen seine Zeitgenossen gewesen oder ihm kurz vorhergegangen sein. Um nur einen Beweis davon anzuführen, so haben die von mir in der Akropolis von Mykenae gegrabenen 34 Schachte nur Bruchstücke bemalter Vasen ans Licht gebracht, wovon die ältesten das Pferd darstellen, wie man es auf den Hirschfelder Vasen (Ann. d. Inst. 1872, p. 131 ss.) sieht, denen die Archaeologie nur höchstens ein Alter von 1200 Jahren vor Chr. zugestehen kann. Es ist daher als gewiss anzunehmen, dass Mykenae, welches nach Homer eine so wichtige Rolle im troianischen Kriege spielt, erst 1500 oder 1600 Jahre nach der Zerstörung Troias erbaut worden ist. Die Stadt blühte aber zu Homers Zeiten und hatte damals wahrscheinlich einen König Agamemnon, den der Dichter, vielleicht aus Dankbarkeit für empfangene Wohlthaten, verherrlicht, indem er ihn zum König der Könige und Völker vor Troia macht. Aus Unkenntniss der Thatsachen und mit dichterischer Uebertreibung beschreibt uns Homer sein Ilion als sehr gross und giebt ihm eine von ihm Pergamos genannte Akropolis, wie er die Städte mit ihren Festungen an der kleinasiatischen Küste und in Griechenland gesehen haben muss. In der Wirklichkeit aber war Troia nur klein, war selbst eine Festung und hatte keine untere Stadt. In der That haben die 20 Schachte, die ich auf dem Plateau im O., S. und W. von Hissarlik gegraben habe, den schlagendsten Beweis geliefert, dass nicht nur Ilion, sondern auch die beiden nachfolgenden Städte, deren Trümmer ich beschrieben habe, auf diesen Berg beschränkt waren, denn nur am Fusse desselben fand ich eine Schuttaufhäufung von 16 Fuss, weiterhin war dieselbe nur 5 und 6 Fuss tief, und nirgends fand ich eine Spur von vorhistorischen Topfscherben oder vorhistorischen Mauern oder Wänden, überall nur die Trümmer von dem Ilion der griechischen Kolonie. Aber das homerische Troia war nicht die erste auf dem Berge Hissarlik gebaute Stadt; denn unter ihm, in einer Tiefe von 33 bis 53 Fuss unter der Oberfläche, findet man die riesigen Trümmer einer noch viel älteren Stadt, deren Töpferwaare auch aus der Hand, d. h. ohne Hülfe des Töpferrades, gemacht, die aber viel besser und eleganter fabricirt ist und ganz andere Typen zeigt. Die allerschönsten Terracotten fand ich dort auf dem Urboden, in 47 bis 53 Fuss Tiefe. Die meisten haben inwendig und auswendig eingeschnittene Verzierungen. Zu den interessantesten gehören die glänzend schwarzen, rothen oder braunen Schüsseln, weiche auf zwei Seiten am Rande eine 4—5 Zoll lange horizontale Röhre zum Aufhängen mittels einer Schnur haben. Unter anderen interessanten Gegenständen erwähne ich einen in 53 Fuss Tiefe auf dem Urboden entdeckten, aus drei platten Steinen bestehenden kleinen Hauskirchhof mit zwei grossen Leichenurnen, deren jede drei Füsse hatte. Beide waren mit Menschenasche gefüllt, und in der einen fand ich die Knochen eines Embryos von sechs Monaten, mit welchen der gelehrte Doctor Aretaeos in Athen das ganze Skelett wieder zusammengesetzt hat. Ich fand in dieser ersten Stadt ausserdem das Skelett einer Frau mit ihren goldenen Schmucksachen; es befand sich in schiefer Lage in den verkohlten Ruinen eines Hauses, welches augenscheinlich in einer Feuersbrunst zerstört war; die Frau wird daher lebendig verbrannt sein. Dies wird auch durch die Thatsache bewiesen, dass alle vorhistorischen Völker, welche den Berg bewohnt haben, die Gewohnheit hatten, ihre Todten zu verbrennen und die Leichenasche in Urnen beizusetzen, von denen ich hunderte fand. Unter den troianischen Vasen habe ich noch jene in Gestalt von Schweinen, Stachelschweinen, Maulwürfen, Bären und Hippopotami zu erwähnen, die an Stelle des Schwanzes eine schornsteinartige Oeffnung haben; diese letztere ist durch einen Henkel mit dem Rücken verbunden. Sehr interessant sind auch die unzähligen Gegenstände aus Knochen und Elfenbein für den Gebrauch der Frauen, die sehr schweren Schleudern aus Magneteisenstein, die kupfernen Pfeile in der primitiven Form von kopflosen Nägeln und endlich die vielen herrlichen Formsteine von Micaschiefer, in Gestalt von Parallelepipeden, die an jeder ihrer sechs Seiten mit Formen zum Giessen der verschiedenartigsten Waffen versehen sind, von denen uns die meisten jetzt durchaus unbekannt sind. Ich erwähne noch die vielen kleinen Urnen phantastischer Form mit einem Henkel über der Oeffnung und einer kleinen Röhre im Bauch, welche als Milchflaschen für Säugekinder gebraucht sein müssen. Ausser den grossen δέπα αμφιχύπελλα mit zwei mächtigen Henkeln fand ich mehr als zwanzig verschiedene Arten von Bechern. Ich fand dort auch zwölf Inschriften, von denen John Murray in seiner englischen Ausgabe meines Werks nach Prof. Martin Haug in München und Prof. Theod. Gompertz in Wien die Uebersetzung giebt. Sie sind griechisch, aber in uralten kyprischen Schriftzügen gegeben und beweisen über jeden Zweifel, dass die Troianer griechisch sprachen. Dies wird ferner dadurch bewiesen, dass, nachdem der primitive bildliche oder ideale Begriff von Athenes Epitheton γλαυχώπις vergessen war, die Troianer verstanden, dass γλαύξ die Eule und ώψ das Gesicht bedeutet, und γλαυχώπις in das Eulengesicht materialisirten, welches sie ihrer Schutzgöttin gaben. Die troianischen Inschriften sind einfache Widmungen an die Götter oder an Helden. Nach Prof. Martin Haug liest man die eine δίω Σίχω oder Σίγω und da ich auf gar vielen Terracotten die erste Silbe dieses Namens „Si“ eingeschnitten fand, so ist er der Meinung, dass die Troianer unter anderen einen Gott oder Heros mit Namen Sigo oder Siko verehrten, dessen Namen wir in dem der troianischen Stadt Sigeion, im Namen von Sigia, der Baustelle von Alexandria-Troas, und im Namen von Sikyon im Peloponnes wiedererkennen. Letztere Stadt hatte in der That als König den Troianer Echepolos, den Sohn von Anchises, den Bruder von Aeneas (Il. XXIII, 296). Prof. Haug erkennt auch im Namen des Skäischen Thors und in dem des Skamander die Etymologie von Sigo oder Siko.

Was nun die Aehnlichkeit der troianischen Gegenstande mit den anderswo entdeckten Alterthümern betrifft, so sind die troianischen geschliffenen Beile, Hämmer und Streitäxte von Diorit durchaus von derselben Form, wie man sie in allen Museen vorhistorischer Alterthümer sieht. Die Werkzeuge weiblicher Handarbeit von Knochen und Elfenbein haben meistens die Gestalt der in den Pfahlbauten der Schweiz gefundenen. Jene merkwürdigen, durchbohrten, kegel- und kreiselförmigen Wirtel von Terracotta sind denen vollkommen ähnlich, die man in den Terramaren in Italien findet. In der Sammlung zu Modena finden sich sogar zwölf mit Verzierungen wie sie auch in Troia vorkommen. Hinsichtlich der troianischen Terracotta-Vasen aber bemerke ich, dass sie einige Aehnlichkeit haben mit den von dem Director der französischen Schule in Athen auf der Insel Santorin, unter drei Schichten vulkanischer Asche und Bimmstein von 40 bis 80 Fuss Dicke, in einer uralten vorhistorischen Stadt aufgefundenen Töpferwaaren. Wie bekannt wurde diese Insel von jenem, nach Berechnung competenter Geologen wenigstens 2000 Jahre v. Chr. ins Meer versunkenen, 3800 Fuss hohen Centralvulkan verschüttet. Es ist aber durchaus zweifelhaft, dass der Vulkan sogleich, nachdem er die Insel verschüttet hatte, versunken ist; vielleicht ist dies erst Jahrhunderte später geschehen. Zwischen der dort gefundenen Töpferwaare befinden sich mehrere den troianischen ähnliche Typen, so z. B. die Kannen mit sehr langem, hinten übergebogenem Halse, welche eine Frau darstellen sollen, denn sie haben zwei hervorstehende Brüste und gemalte Ohrringe; dann die Vasen mit einer oder zwei Röhrchen an jeder Seite zum Aufhängen mittels einer Schnur. Aber fast alle Vasen und Kannen sind auf dem Töpferrade, nur wenige sind aus der Hand gemacht; ferner sind fast alle bemalt und zeigen einige Exemplare sogar, sowohl im Fabrikat wie in der Malerei, sehr viel Kunst. Die Häuser sind, wie in Troia, aus kleinen Steinen und Erde gebaut, aber die inneren Wände sind mit einer dicken Kalkschicht belegt und haben Malereien. Ich erinnere daran, dass in Troia jede Spur von Kalk und Farbe fehlt und dort alle Verzierungen in den Thon geschnitten sind, als dieser noch weich war. Waffen und Werkzeuge von Stein kommen gar nicht vor. Im Ganzen genommen scheinen daher diese uralten santoriner Töpferwaaren im Vergleich zu den troianischen ganz modern. Noch gar viel jünger aber sind die von mir in Mykenae aufgegrabenen Vasen und Bruchstücke, obgleich, wie bereits erwähnt, die ältesten derselben auf 1300 bis 1400 v. Chr. zurückreichen und die Stadt nach ihrem Untergang, 468 v. Chr., nie wieder bewohnt worden ist. Fast alle Mykenische Töpferwaare hat glänzend rothe kreisförmige Verzierungen, und sowohl die Terracotta als auch die Malerei scheinen unvergänglich zu sein, denn die grosse Baustelle ist mit Billionen von Topfscherben bedeckt, die seit 2300 Jahren der brennenden Sonne, dem Regen und allen Winden ausgesetzt sind und doch nichts von ihrer Frische oder von ihrem Glanze verloren haben. Das Charakteristische der grossen Vasen in Mykenae ist, dass sie an jeder Seite einen grossen, mit zwei oder drei durchbohrten Löchern versehenen Henkel, und in gleicher Richtung zwei oder drei Durchbohrungen im Fusse haben, um an Schnüren getragen zu werden. Die wohlbekannte Architektur der Schatzkammer des Agamemnon und zweier Häuser, die ich in meinen Schachten auf der ersten Terrasse der Akropolis von Mykenae theilweise blosslegte, ist jedenfalls die Bauart, die Homer fortwährend vor Augen hatte und mit ξεστοϊσι λίθοισι bezeichnete. Die Sage, welche ihm die Einzelheiten von Troias tragischem Ende kundgab, hatte ihm die Bauart der Stadt verschwiegen; er beschreibt daher immer nur die Architectur, die er selbst sah.

In der kleinen Sammlung vorhistorischer Alterthümer in der Universität zu Neapel sah ich die Bruchstücke einer in den Abruzzen gefundenen, aus der Hand gemachten, glänzend schwarzen Vase mit zwei Rohren zum Aufhängen, ganz wie die Vasen der allerältesten Stadt in Hissarlik. Das Museum von Vannes in der Bretagne enthält zwei Bruchstücke einer Vase mit Doppelröhren von ganz derselben Art und anscheinend demselben Alter. Das Museum von St. Germain-en-Laie hat eine Vase mit einfachen verticalen Röhrchen, ganz so wie die Vasen der zweiten Stadt auf Hissarlik sind, die ich mit dem homerischen Ilion identificire. Das Museum in Boulogne s/m hat in der Sammlung römischer Vasen, unter N. 326, eine aus der Hand gemachte vorhistorische Kanne mit hintenübergebogenem Halse, die ganz so ist wie die troianischen Kannen.

Im Brittischen Museum sind in der Sammlung assyrischer Alterthümer zwei mit eingeschnittenen Verzierungen und Röhrchen zum Aufhängen versehene Vasen von Nimrud, die den troianischen sehr ähnlich sehen; ferner bronzene Streitäxte und Schleudern von Magneteisenstein ganz wie die troianischen Streitäxte und Schleudern. In der Sammlung werthvoller Gegenstände daselbst befindet sich ein silbernes Diadem aus Abyssinien, welches einem der grossen goldenen troianischen Diademe in der Form sehr nahe kommt. In der Sammlung alter peruanischer Terracotten ist eine Vase mit Eulenkopf und ein Dutzend Vasen in Form von Thieren mit einer schornsteinartigen Oeffnung an der Stelle des Schwanzes, ganz so wie sie auch in Troia vorkommen. Ich erwähne ferner die ägyptischen Terracotta-Jagdflaschen und die kyprischen thönernen Milchflaschen, auch die verzierten alt-peruanischen Brummkreisel; auch diese Gegenstände finden ihre Analogien unter den troianischen Funden.

Die kürzlich von mir untersuchten Museen in Leyden, Kopenhagen, Stockholm, Lübeck, Schwerin, Breslau, Wien und Mainz enthalten ausser den steinernen Instrumenten und Waffen nicht das Mindeste, was den troianischen Alterthümern ähnlich wäre. Im Berliner Museum erinnert nur der goldene Ring mit den Spiralen, unter Nr. 3407, an die troianischen Ohrringe. Im Museum in Pest sah ich unter den auf dem Grabfelde von Szihalom ausgegrabenen Alterthümern mehrere Gegenstände, welche in ähnlicher Weise auch in Troia vorkommen; dazu gehören die nur 2½ Zoll langen Trichter von gebrannter, und die durchbohrten Cylinder und Pyramiden von ungebrannter, nur an der Sonne getrockneter Terracotta, welche letztere, soviel ich weiss, sonst nur noch in den schweizer Pfahlbauten gefunden sind. Merkwürdigerweise haben alle in Szihalom gefundenen Gefässe sowohl hinsichtlich ihrer Form als ihrer Farbe und ihrer eingeschnittenen, mit weissem Thon ausgefüllten Verzierungen viele Aehnlichkeit mit den von mir in Hissarlik in 6½ Fuss Tiefe, sogleich unterhalb der hellenischen Ruinen, ausgegrabenen 70 Vasen, welche weder den historischen noch den vorhistorischen Alterthümern in Hissarlik ähnlich sind.

Ich habe noch beizufügen, dass ich niemals eine Spur von Eisen oder Glas in Troia gefunden habe.

Dies, meine Herren, ist eine kurze Uebersicht über die zahlreichen Denkmäler, welche ich das Glück gehabt habe während meiner dreijährigen umfangreichen Ausgrabungen, in einem höchst ungesunden Klima, aus den Tiefen des Berges Hissarlik hervorzuholen, wo sie seit 44 Jahrhunderten begraben lagen. Mein Unternehmen hat viele verschiedene und oft ganz entgegengesetzte Meinungen hervorgerufen. Manche haben mich mit Lob, manche mit Beschimpfungen überhäuft. Vertrauensvoll überlasse ich es nun dem Urtheil dieser Versammlung von Philologen und Freunden der Altertumskunde, ob und wie weit es mir durch meine uneigennützigen Arbeiten gelungen sein dürfte, auf die dunkeln vorhistorischen Zeiten Griechenlands einiges Licht zu werfen und die grosse Frage gelöst zu haben, ob und wo in Wirklichkeit jenes Troia vorhanden gewesen sei, mit welchem das höchste Meisterwerk griechischer Poesie und die ruhmreichste aller Legenden der griechischen Geschichte für immer verbunden sind.

Dr. Heinrich Schliemann.     


Fußnoten

WS: Im Original sind die Fußnoten auf der jeweiligen Seite abgedruckt und mit einem * versehen.

  1. Ich mache hier ganz besonders darauf aufmerksam, dass die kyklopische Bauart aus Polygonen ohne Verbindungsmittel in der Neuzeit allgemein in Schweden in Anwendung gekommen ist und dort für Mauern oder Unterbau als die solideste und billigste aller Bauarten gehalten wird. Diese Bauten sind den kyklopischen Bauten aus dem 3ten und 4ten Zeitabschnitt in Kleinasien und Griechenland täuschend ähnlich und unterscheiden sich nur durch die fehlende „Patina“ von letzteren.
  2. Der Typus dieser Becher muss sich sehr lange in der Ebene von Troia erhalten haben, denn zwei derselben, zwar verkrüppelter, aber doch vollkommen gleicher Gestalt, die Tafel 32 unter Nr. 787 und 788 im Atlas meines Werkes, „Troianische Alterthümer“ ed. F. A. Brockhaus, abgebildet sind, wurden in nur 2 Meter Tiefe gefunden und gehören, nach dem Thon und der Anfertigung zu urtheilen, in die Kategorie jener 70 Gefässe, die ich am Ende meiner Vorrede beschrieben und wowon ich gesagt habe, dass sie unmöglich weder den vorhistorischen noch den hellenischen Gefässen zugesellt werden können, sondern von einem Volke herrühren müssen, das nur kurze Zeit vor Gründung des griechischen Ilion den Berg Hissarlik bewohnt hat. Ohne Zweifel ist daher diese Art Becher zu Homers Zeit in Gebrauch gewesen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schiff
  2. Vorlage: letzerer
  3. Vorlage: eingeschnittenenre ligiösen
  4. Vorlage: irrrt

Tafeln

Taf. I

Taf. II

Taf. III

Taf. IV

Taf. V

Taf. VI

Taf. VII

Taf. VIII