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wuchsen.“ Die Breite des Skamander ist 330 bis 660 Fuss, aber dessenungeachtet überschwemmt er häufig durch den Winterregen und überfluthet einen grossen Theil der Ebene. Die homerischen Beiwörter des Flusses sind: ἐΰῤῥοος (schön fliessend); δινήεις (wirbelnd); μέγας (gross); βαθυδίνης (tiefwirbelnd); βαθύῤῥοος (tieffliessend); ἀργυροδίνης (silberwirbelnd); ἠϊόεις (mit bergigen Ufern). Nach Homer nahm das griechische Lager das ganze Ufer zwischen dem Cap Sigeion und den Hohen von Intepe oder Rhoeteion ein, denn der Dichter sagt Il. XIV, 31–36: „Sie hatten die ersten Schiffe auf die Ebene gezogen und hatten eine Mauer vor ihnen gebaut, denn, obwohl das Ufer breit war, so war es doch durchaus nicht hinreichend, um alle Schiffe zu halten und die Völker waren gedrängt. Sie zogen daher die Schiffe in Reihen auf, die eine hinter der anderen, und füllten den weiten Mund des ganzen Ufers, soviel als die Vorgebirge einschlossen.“

Wenn der Skamander schon damals sein jetziges Bett gehabt hätte, so würde er gerade durch das griechische Lager geflossen sein, und Homer würde es nicht unterlassen haben, diese wichtige Thatsache zu erwähnen. Daher kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der Fluss zur Zeit Homer’s das breite Bett des kleinen Baches Intepe-Asmak hatte, welcher neben den Höhen von Intepe fliesst und sich unweit des dem Ajax zugeschriebenen kegelförmigen Tumulus in den Hellespont ergiesst. Drei breite, trockene Flußbetten, deren Spuren man zwischen dem Intepe-Asmak und dem Skamander sieht, beweisen, dass letzterer[WS 1] sein Bett allmählich im Laufe vieler Jahrhunderte gewechselt hat. Wenn wir den Intepe Asmak bis zum Dorfe Kum-Koï hinaufgehen, dann sehen wir, dass er die Fortsetzung des Baches Kalifatli-Asmak ist, welcher ebenfalls ein gewaltiges Bett hat und von diesem Dorf ab den grössten Theil seines Wassers in nordwestlicher Richtung zum Hellespont sendet. Aber man bemerkt sogleich, dass letzterer Arm nicht alt, sondern verhältnissmässig neu gebildet ist. Somit floss der Skamander einst bis zum Dorfe Kum-Koï im Bett des Intepe-Asmak, und von dort ab in dem des Kalifatli-Asmak, welcher jetzt nur von den vielen Quellen am S. O. Ende der Ebene genährt wird. Die Identität des Kalifatli-Asmak mit dem alten Bett des Skamander wird ausserdem durch den Simois, jetzt Dumbrek-Su genannt, bewiesen, welcher sich noch jetzt, 1 Meile nördlich von Hissarlik, unter rechtem Winkel in den Kalifatli-Asmak ergiesst. Der Simois entspringt, in einer Entfernung von 15 engl. Meilen, in der Abstufung des Idagebirges und fliesst durch die östliche Ebene, in welcher er grosse und stets unpassierbare Sümpfe bildet. Seine Breite ist 66 bis 100 Fuss. Homer bestätigt den Zusammenfluss der beiden Ströme und die geringe Entfernung dieses Zusammenflusses von Ilion, denn er sagt Il. V, 773–774: „Aber als sie Troia erreichten, und die beiden fliessenden Ströme, wo Simois und Skamander ihre Strome vereinigen.“ Ich habe noch den Fluss Kamar-Tsaï zu erwähnen, welcher sich am südlichen Ende der Ebene in den Skamander ergiesst und welcher richtig mit dem homerischen Thymbrios identificirt wird. Endlich habe ich den Bunarbaschi-Su genannten Bach zu erwähnen, welcher aus 40 kalten Quellen, am Südende der Ebene, am Fusse der Höhen von Bunarbaschi entspringt. Sein Wasser fliesst meistentheils durch einen künstlichen Canal in den Golf von Baschika, während der übrige Theil ungeheure Sümpfe bildet. Die vielen Sümpfe der Ebene von Troia dünsten pestilenzialische Miasmen aus, welche die Luft verpesten und viel Fieber verursachen. In Folge dessen sieht man in der Ebene nur die drei armen Dörfer Halil-Koï, Kum-Koï und Kalifatli, wovon das zweite im Sommer durchaus unbewohnbar ist. Die Frage, ob die Ebene von Troia aus den Alluvia der Flüsse entstanden und einst ein tiefer Meerbusen gewesen ist, ist noch nicht entschieden. Diejenigen aber, welche das Dasein eines Golfes zu Homer’s Zeit aus der Ilias beweisen wollen, erklären nach meiner Meinung durchaus irrthümlich die Verse Il. II, 92: ἠϊόνος προπάροιθε βαθείης

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: letzerer
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Schliemann: Troia und seine Ruinen. , Waren 1875, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Troia_und_seine_Ruinen.pdf/5&oldid=- (Version vom 22.6.2019)