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Aber alle die Tausende von Gegenständen, die ich dort fand, gehören einem so hohen Alterthum an, dass die von Homer besungene Belagerung und Zerstörung wahrscheinlich 1500 bis 2000 Jahre vor seiner Zeit stattfand. Homer kann unmöglich eine Spur von Troia gesehen haben, denn zu seiner Zeit waren die Trümmer der troianischen Häuser, die grosse Ringmauer und der grosse Thurm mit einer Schuttdecke von 20 bis 27 Fuss Dicke bedeckt. Der Dichter machte keine Ausgrabungen, um diese Monumente ans Licht zu bringen. Seine Beschreibung von Ilion ist daher höchst oberflächlich und dunkel. Er kannte alle Umstände von Troias tragischem Ende lediglich aus der Ueberlieferung, denn dieselben waren vor seiner Zeit von hunderten von Rhapsoden besungen. Wenn uns die homerischen Gesänge allein erhalten sind, so ist es lediglich dem Umstande zuzuschreiben, dass sie die schönsten und erhabensten von allen waren. Indem Homer das furchtbare Ereigniss der Zerstörung Troias besingt, beschreibt er uns die Welt, die Menschen, die Götterverehrung, die Sitten, die Gebräuche, die Gewerbe und deren Produkte ganz so, wie er sie sah; alle Menschen, die er uns handelnd vorführt, müssen seine Zeitgenossen gewesen oder ihm kurz vorhergegangen sein. Um nur einen Beweis davon anzuführen, so haben die von mir in der Akropolis von Mykenae gegrabenen 34 Schachte nur Bruchstücke bemalter Vasen ans Licht gebracht, wovon die ältesten das Pferd darstellen, wie man es auf den Hirschfelder Vasen (Ann. d. Inst. 1872, p. 131 ss.) sieht, denen die Archaeologie nur höchstens ein Alter von 1200 Jahren vor Chr. zugestehen kann. Es ist daher als gewiss anzunehmen, dass Mykenae, welches nach Homer eine so wichtige Rolle im troianischen Kriege spielt, erst 1500 oder 1600 Jahre nach der Zerstörung Troias erbaut worden ist. Die Stadt blühte aber zu Homers Zeiten und hatte damals wahrscheinlich einen König Agamemnon, den der Dichter, vielleicht aus Dankbarkeit für empfangene Wohlthaten, verherrlicht, indem er ihn zum König der Könige und Völker vor Troia macht. Aus Unkenntniss der Thatsachen und mit dichterischer Uebertreibung beschreibt uns Homer sein Ilion als sehr gross und giebt ihm eine von ihm Pergamos genannte Akropolis, wie er die Städte mit ihren Festungen an der kleinasiatischen Küste und in Griechenland gesehen haben muss. In der Wirklichkeit aber war Troia nur klein, war selbst eine Festung und hatte keine untere Stadt. In der That haben die 20 Schachte, die ich auf dem Plateau im O., S. und W. von Hissarlik gegraben habe, den schlagendsten Beweis geliefert, dass nicht nur Ilion, sondern auch die beiden nachfolgenden Städte, deren Trümmer ich beschrieben habe, auf diesen Berg beschränkt waren, denn nur am Fusse desselben fand ich eine Schuttaufhäufung von 16 Fuss, weiterhin war dieselbe nur 5 und 6 Fuss tief, und nirgends fand ich eine Spur von vorhistorischen Topfscherben oder vorhistorischen Mauern oder Wänden, überall nur die Trümmer von dem Ilion der griechischen Kolonie. Aber das homerische Troia war nicht die erste auf dem Berge Hissarlik gebaute Stadt; denn unter ihm, in einer Tiefe von 33 bis 53 Fuss unter der Oberfläche, findet man die riesigen Trümmer einer noch viel älteren Stadt, deren Töpferwaare auch aus der Hand, d. h. ohne Hülfe des Töpferrades, gemacht, die aber viel besser und eleganter fabricirt ist und ganz andere Typen zeigt. Die allerschönsten Terracotten fand ich dort auf dem Urboden, in 47 bis 53 Fuss Tiefe. Die meisten haben inwendig und auswendig eingeschnittene Verzierungen. Zu den interessantesten gehören die glänzend schwarzen, rothen oder braunen Schüsseln, weiche auf zwei Seiten am Rande eine 4—5 Zoll lange horizontale Röhre zum Aufhängen mittels einer Schnur haben. Unter anderen interessanten Gegenständen erwähne ich einen in 53 Fuss Tiefe auf dem Urboden entdeckten, aus drei platten Steinen bestehenden kleinen Hauskirchhof mit zwei grossen Leichenurnen, deren jede drei Füsse hatte. Beide waren mit Menschenasche gefüllt, und in der einen fand ich die Knochen eines Embryos von sechs Monaten,

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Heinrich Schliemann: Troia und seine Ruinen. , Waren 1875, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Troia_und_seine_Ruinen.pdf/18&oldid=- (Version vom 22.12.2020)