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Hier muss ich anhalten und auf die Bedeutung des homerischen Epitheton „γλαυκῶπις“ eingehen. Professor Max Müller behauptete in der Academy vom 10. Januar 1874: „Was γλαυκῶπις auch bedeuten mag, es kann nicht „eulenköpfig“ bedeuten, es sei denn dass wir annehmen, dass Hera βοῶπις als ein kuhköpfiges Ungeheuer dargestellt worden ist.“ Ich habe zwar in meinen Ausgrabungen in Troia 3 prächtige Kuhköpfe mit langen Hörnern von Terracotta gefunden und glaube, dass sie von Idolen der Hera stammen, kann dies aber nicht beweisen. Dagegen aber lässt sich beweisen, dass diese Göttin einst mit einem Kuhgesicht dargestellt wurde, von dem ihr homerisches Epitheton βοῶπις stammt. Als im Kampfe zwischen den Göttern und den Riesen jene Thiergestalten annahmen, wählte Hera die Gestalt einer weissen Kuh (nivea Saturnia vacca: Ovid. Met. V, 330). Wir sehen einen Kuhkopf auf den Münzen der Insel Samos, welche den ältesten Tempel der Hera hatte und durch den Cultus dieser Göttin berühmt war (Mionnet, Descr. des médailles ant. pl. XI, 6). Wir finden ferner den Kuhkopf auf den Münzen von Messene, einer samischen Kolonie in Sicilien (Millingen, Anc. Coins of Greek Cities, Tafel II, 12). Die Verwandtschaft der Hera mit der Kuh wird ferner durch den Namen Εὔβοια bewiesen, welcher ihr Epitheton (Paus. II, 22, 1 und 2), ferner der Name einer ihrer Ammen, (Plut. quaest. symp. 3, 9, 2; Et. M. 388, 56) und der Name der Insel war, wo sie erzogen wurde (Plut. fr. Daedal. 3). Aber im Namen Εὔβοια ist das Wort βοῦς enthalten. Hera hatte in Corinth das Epitheton βουναία (Paus. II, 4, 7), in welchem das Wort βοῦς gleichfalls enthalten ist. Weisse Kühe wurden der Hera geopfert (Paus. IX, 3, 4; Hesych. ἄγαν χαλκεῖος). Die Priesterin fuhr mit einem Gespann von zwei weissen Stieren zum Tempel der Argivischen Hera (Herod. I, 31). Io, die Tochter des Inachos, wurde von Hera in eine Kuh verwandelt (Lucian. θεῶν διάλ. 3; Diod. Sic. I, 24, 25; Herodot II, 41). Io war Priesterin der Hera (Aesch. Suppl. 299; Apollod. II, 1, 3), und wurde wie die Kuhgöttin Hera dargestellt (Creuzer, Symbolik II, 576). Die egyptische Göttin Isis war in Argos geboren und wurde mit der kuhförmigen Io identificirt (Diod. Sic. I, 24, 25; Apollod. II, 1. 3; Hygin. 145); sie (Isis) wurde in Egypten als eine Frau mit Kuhhörnern dargestellt, wie Io in Griechenland (Herod. II, 41). Hera ist jedenfalls identisch mit Isis, mit Io und mit Demeter Mykaleasia, welche ihr Epitheton „die brüllende“ von ihrer Kuhform und ihrem Tempel in Mykalessos in Boeotien hatte; sie hatte als Pförtner den Herakles, dessen Amt es war ihr Heiligthum am Abend zu schliessen und am Morgen wieder zu öffnen (Paus. IX, 19, 4). Somit ist sein Dienst ganz gleich dem des Argos, welcher die kuhförmige Io am Abend an den Olivenbaum festbindet und sie am Morgen wieder löst (Ovid. Metam. I, 630); dieser Olivenbaum war im heiligen Haine von Mykenae, ganz nahe beim Ἡραῖον (Apollod. II, 1, 3). Die argivische Hera hatte als Symbol der Fruchtbarkeit einen Granatapfel, welcher, ebenso wie die Blumen, womit ihre Krone geschmückt war, ihr einen tellurischen Charakter gab (Panofka, Argos Panoptes, Tafel II, 4; Cadalvène, Recueil de Méd. gr. Tafel III, 1; Müller, Denkm. XXX, 132; Duc de Luynes, Etudos numismat. pp. 22-25). Ganz ebenso wie in Boeotien das Epitheton Mykalessia, die „brüllende“, (welches von μυκάω stammt), der Demeter wegen ihrer Kuhform gegeben wurde, ganz ebenso wurde in der Ebene von Argos der Name Μυκῆναι, welcher ebenfalls von μυκάω stammt, der Stadt gegeben, die Hera als Schutzgöttin hatte und durch ihre Verehrung besonders berühmt war. Dies ist aber nur durch ihre Kuhgestalt erklärbar. Aus der pelasgischen Mondgöttin Io entstand sowohl die egyptische Mondgöttin Isis als die argivische Göttin Hera, und Io verblieb der alte Mondname in den religiösen Mysterien zu Argos (Eustath. in Dionys. Perieg., 94; Jablonsky, Panth. II, p. 4 ff). Die Kuhhörner sowohl der pelasgischen Mondgöttin Io, aus welcher später die argivische Hera entstand, die

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Heinrich Schliemann: Troia und seine Ruinen. , Waren 1875, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Troia_und_seine_Ruinen.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)