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hatte, untersuchte ich so genau als möglich die ganze Ebene von Troia und überzeugte mich, dass das homerische Ilion unmöglich irgendwo anders gelegen haben könne als auf der Stelle des Ilion der griechischen Kolonie, und dies in vollkommner Uebereinstimmung mit der Meinung des ganzen Alterthums. Nach meiner Vermuthung lag des Priamos Pergamos in den Tiefen des Berges Hissarlik verborgen, welcher, wie bereits erwähnt, dem spätern Ilion als Akropolis gedient hat, und ich machte daher dort im April 1870 kleine Ausgrabungen, deren Resultat so ermuthigend war, dass ich dort nach Erlangung der nöthigen Erlaubniss 1871 grosse Ausgrabungen veranstaltete, welche ich 3 Jahre lang mit 100 bis 160 Arbeitern fortsetzte. Ueberall auf dem Plateau von Hissarlik fand ich, unmittelbar unter der Oberfläche, die Fundamente und Massen anderer Ruinen von hellenischen Gebäuden, wovon einige aus behauenen Kalksteinen mit, die anderen ohne Cement oder Kalk gebaut sind. Im Allgemeinen fand ich Cement oder Kalk als Bindemittel nur in den Ruinen bis zu einer Tiefe von 3 Fuss unter der Oberfläche, und die ältesten archaischen Trümmer nur bis 6 Fuss Tiefe. Aber am Rande der Abhänge, wo der Urboden einst bedeutend niedriger gewesen ist, fand ich die hellenischen Trümmer verhältnissmässig bis zu einer grösseren Tiefe. Die wichtigsten Gebäude, welche ich in dieser Schicht hellenischer Ruinen fand, sind die Tempel des Apollo und der Minerva; ersterer ist ganz zertrümmert und kein Stein davon ist an seiner Stelle. Er war in dorischem Styl gebaut und prächtig; dies beweist der dorische Triglyphenblock, welchen ich unter seinen Trümmern entdeckte; derselbe hat eine Metope, die in hohem Relief den Sonnengott mit 4 Pferden darstellt und ein grosses Meisterwerk aus der ersten Diadochenzeit ist. (Ich sandte Gypsabgüsse davon an alle grösseren Museen Europas.) Wir können daher annehmen, dass der Apollotempel von Lysimachos ungefähr 306 v. Chr. gebaut ist.

Von dem Minervatempel sind alle Fundamente und ein Theil der Mauern erhalten, welche theils aus grossen behauenen, ohne Cement zusammengelegten, theils aus kleinen, durch Cement verbundenen Steinen bestehen. Daraus schliesse ich, dass dieser Tempel auch von Lysimachos gebaut, aber von Fimbria 85 v. Chr. zerstört und von Sulla wiederaufgebaut ist. Er ist 317 Fuss lang und 73 Fuss breit. Unter den vielen hier gefundenen Inschriften erwähne ich nur die wichtigste, welche 74 Schriftzeichen hat, sehr wohl erhalten ist und 3 Briefe vom Antiochos I. (281—260 v. Chr.) an Meleager, den Satrapen der Satrapie des Hellespont und einen Brief von diesem an die Ilier enthält. Durchaus irrig ist die von mehreren deutschen Archaeologen gemachte Behauptung, dass die ältesten Trümmer dieses griechischen Ilion nur bis zur Zeit Alexanders des Grossen hinaufreichen. Die Besucher von Hissarlik können mit gar leichter Mühe aus den Wänden meiner Ausgrabungen, circa 6 Fuss unter der Oberfläche, Tausende archaischer Topfscherben herausziehen, welchen kein Archaeologe zögern wird ein Alter von 600 bis 700 Jahren vor Christi Geburt zuzuschreiben, und viele derselben müssen noch gar viel älter sein; so z. B. das Seite 55 meines Werks „Troy and its Remains“ (ed. John Murray) abgebildete Bruchstück einer bemalten Vase, welches eine geflügelte Figur mit sehr langer Nase und einer phrygischen Mütze mit ungewöhnlich langem Zipfel darstellt und aus dem 9ten oder lOten Jahrhundert vor Christus sein mag. In einer durchschnittlichen Tiefe von 6 bis 7 Fuss sammelte ich 70 glänzend rothe oder schwarze Gefässe verschiedener Form, theils mit, theils ohne eingeschnittene, mit weissem Thon ausgelegte Verzierungen; auch eine grosse Anzahl von runden Terracotta-Stücken in Form von Kuchen mit zwei Durchbohrungen am Rande und einem sehr schönen Stempel in der Mitte, in welchem man entweder einen Mannskopf mit Helm, oder einen Stier, oder eine Biene mit ausgebreiteten Flügeln über einem Altar und dergleichen mehr sieht. Drei der vorerwähnten

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Heinrich Schliemann: Troia und seine Ruinen. , Waren 1875, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Troia_und_seine_Ruinen.pdf/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)