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dass dort so gut wie gar keine künstliche Schuttaufhäufung ist, und dass folglich dort niemals eine Stadt gestanden haben kann.

Das Problem der Baustelle des homerischen Ilion schlief während des ganzen Mittelalters und blieb in der Neuzeit unbeachtet, bis 1787 der Franzose Lechevalier die Troade besuchte und die Baustelle des homerischen Ilion auf den Höhen von Bunarbaschi, am Südende der Ebene von Troia, fand, obgleich er dort weder Ausgrabungen machte, noch ein Loch bohrte. Er identificirte auch die 40 kalten Quellen am Fusse dieser Anhöhen mit den beiden homerischen Quellen heissen und kalten Wassers, bei denen Hektor getödtet war. Diese Theorie ist von fast allen Archaeologen angenommen worden, welche seit jener Zeit die Ebene von Troia besucht haben, bis im Mai 1864 der verstorbene oesterreichische Consul von Hahn, der Architect Ziller und der Astronom Schmidt am Ende jener Höhen die Baustelle einer kleinen, von kyklopischen Mauern umgebenen Stadt blosslegten, welche gerade halb so gross ist als die Akropolis von Athen und von allen Anhängern der Theorie Lechevalier’s als die Pergamos Troia’s angesehen worden war. Aber diese Ausgrabungen brachten nicht eine einzige archaische Topfscherbe und nur Bruchstücke von bemalten griechischen Vasen vom 2ten bis zum 5ten Jahrhundert vor Chr. zum Vorschein und können daher die kyklopischen Mauern der Stadt unmöglich älter sein. Es giebt überdies in der Geschichte der kyklopischen Mauern verschiedene Zeitabschnitte, und während jene von Tiryns jedenfalls zum ersten Zeitabschnitt gehören, gehören die von Mykene zum zweiten, viele andere zum dritten und vierten, und lässt sich von mehreren kyklopischen Mauern Griechenlands geschichtlich nachweisen, dass sie aus diesem letzteren, ins 5te Jahrhundert v. Chr. zu verlegenden Zeitabschnitte stammen, zu welchem auch ihrer ganzen Bauart nach die in Rede stehenden kyklopischen Mauern am Ende der Höhen von Bunarbaschi gehören.[1] Ausserdem ist dort die Schuttaufhäufung nur höchst geringfügig; an vielen Orten auf der Baustelle sieht man sogar den geebneten natürlichen Fels und nur an einer Stelle hat die Schuttaufhäufung eine Tiefe von 6 Fuss. Endlich, eine von mir 1873 aufgegrabene Inschrift, welche Seite 240-246 meines Werks „Troy and its Remains“ ed: John Murray publicirt ist, beweist, dass die kleine Stadt Gergis ist. Unmittelbar vor derselben sind jene vorerwähnten 3 kegelförmigen Tumuli, deren einer von Sir John Lubbock ausgegraben ist. Zwischen diesen sogenannten Heldengräbern und den 40 Quellen, auf einer Strecke von 1½ engl. Meilen, habe ich an mehr als 1000 Stellen Nachforschungen angestellt, aber nirgends habe ich etwas anderes gefunden als den reinsten Urboden; nirgends eine Spur von Töpferwaaren oder Ziegeln; überall der naturwüchsige, spitze oder steile und immer unebene Fels, der augenscheinlich niemals von Menschenhand berührt ist. Somit ist es sonnenklar, dass diese ganze Strecke niemals von Menschen bewohnt worden ist. Ausserdem ist Gergis, am Ende der Höhen, 10 Meilen und sind die 40 Quellen am Fusse von Bunarbaschi 8½ Meilen vom Hellespont entfernt, während die ganze Ilias beweist, dass die Entfernung zwischen Ilion und dem Hellespont nur klein war und unmöglicherweise mehr als 2½ Meilen betrug, und dies ist ganz genau die Entfernung zwischen Hissarlik und dem Hellespont.

Nachdem ich auf den Höhen von Bunarbaschi eine Masse von negativen Beweisen gesammelt


  1. Ich mache hier ganz besonders darauf aufmerksam, dass die kyklopische Bauart aus Polygonen ohne Verbindungsmittel in der Neuzeit allgemein in Schweden in Anwendung gekommen ist und dort für Mauern oder Unterbau als die solideste und billigste aller Bauarten gehalten wird. Diese Bauten sind den kyklopischen Bauten aus dem 3ten und 4ten Zeitabschnitt in Kleinasien und Griechenland täuschend ähnlich und unterscheiden sich nur durch die fehlende „Patina“ von letzteren.
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Schliemann: Troia und seine Ruinen. , Waren 1875, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Troia_und_seine_Ruinen.pdf/10&oldid=- (Version vom 1.8.2018)