bei kaum fühlbarer Anfestigung an einen Stab, in reiner Luft frisch, fröhlich und frei aufwachsen zu lassen, so wurden wir ganz wundervoll erzogen. Und das kam daher: meine Eltern hielten nicht blos auf Hausanstand, worin sie Muster waren, sie waren auch beide von einer vorbildlichen Gesinnung, die Mutter unbedingt, der Vater mit Einschränkung, aber darin doch auch wieder uneingeschränkt, daß ihm jeder Mensch ein Mensch war. Noch weit über seine Bonhommie hinaus, ging seine Humanität. Er war der Abgott armer Leute.
So waren die zwei Persönlichkeiten, die wir tagaus, tagein vor Augen hatten und wie man mit Recht gesagt hat, das Wichtigste für den physischen Menschen sei die Luft, drin er lebe, weil er aus ihr mit jedem Athemzuge Gesundheit oder Nicht-Gesundheit schöpfe, so ist für den moralischen Menschen das, was er von seinen Eltern sieht und hört, das Wichtigste, denn es ist nicht eine von glücklichen Zufällen abhängige, vielfach unfruchtbare Belehrung, sondern ein Etwas, das in jenen Jahren, wo die Seele sich bildet, von Minute zu Minute seine Wirkung übt.
„Gar nicht erzogen und ausgezeichnet erzogen,“ so sagte ich und dies scheinbar sich Widersprechende paßte ganz vorzüglich zusammen. Es paßte zusammen
Theodor Fontane: Meine Kinderjahre. Berlin: F. Fontane & Co., 1894, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Fontane_%E2%80%93_Meine_Kinderjahre.djvu/247&oldid=- (Version vom 1.8.2018)