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trotzdem es Zeiten bedenklichster Lebens- und Gesellschaftsformen waren, sein Ansehen nicht eingebüßt und die Liebe seiner Gemeinde stiftete ihm gegen das Ende seiner Tage hin ein lebensgroßes Bild in der Kirche, das, wie die Bilder aller alten Pastoren mit Doppelkinn, den ausgesprochenen Luthertypus zeigte. Wenn wir gelegentlich dem alten Küster Hahr, der nebenher auch noch Totengräber und Glöckner war, beim Glockenläuten halfen, schlich ich mich meistens aus der Vorhalle der Kirche in diese selbst hinein, blos um das Bild des alten Kastner, der mir als der Inbegriff des Ehrwürdigen erschien, besser vor Augen zu haben. Daß mich der alte K. beziehungsweise sein Bild so lebhaft interessirte, hatte freilich seinen Grund nicht blos in der ehrwürdigen Erscheinung des Alten, sondern mehr noch darin, daß mir mein Vater erzählt hatte, Pastor Kastner, trotzdem er nur arm sei, habe seine drei Söhne studieren lassen, und alle drei seien Professoren geworden, einer sogar Professor der Chemie zu Kasan, „zu Kasan an der Wolga mit beinahe 60,000 Einwohnern.“ Mein Vater hatte nämlich, wie schon angedeutet, ein besonderes Talent, nicht bloß historische sondern auch geographische Namen derart auszusprechen, daß sie einen Eindruck machen mußten, besonders wenn er die Namensnennung

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Theodor Fontane: Meine Kinderjahre. Berlin: F. Fontane & Co., 1894, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Fontane_%E2%80%93_Meine_Kinderjahre.djvu/107&oldid=- (Version vom 1.8.2018)