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Da gab der Mentor-Kapitän das verabredete Zeichen und mit aller Kraft und Schnelligkeit rollten jetzt die Böller von der einen Schiffsseite nach der andern hinüber und schlugen, durch die dünne Wandung hindurch, auf das unten haltende, schon siegessichere Boot, das nun, von der Wucht der schweren eisernen Kanonen in Stücke gebrochen, mit Mann und Maus zu Grunde ging.[1]

  1. Ein solches Hinüberrollen schwerer Geschütze von der einen Seite des Schiffs auf die andere, hat sich im Kriege, zu Zwecken der Vertheidigung, öfters zugetragen; einmal aber kam es auch mitten im Frieden vor und führte, weil unvorhergesehen, eine schreckliche Katastrophe herauf. Das war in den 70er oder 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Um diese Zeit lag der „Royal George“ auf der Rhede von Portsmouth und der Admiral veranstaltete an Bord dieses seines Flaggschiffes einen Ball, zu dem, außer der vornehmen Welt von Portsmouth, auch die jungen Offiziere der Canal-Flotte geladen waren. Alles war Glanz und Glück. Aber mit einem Male, während man, so wenigstens wird angenommen, eben zu einem neuen Tanze antrat, senkte sich das Schiff, wenn auch zunächst nur langsam, nach links hinüber und ehe man das volle Gefühl der Gefahr noch haben konnte, schlug es um und versank lautlos. Die Kanonen der rechten Seite, die man versäumt hatte festzulegen, waren, als eine Brise von derselben Seite her heranwehte, durch ein sich schräg legen des Schiffs nach links hinübergerollt und hatten das Unglück herbeigeführt. – Ein halbes Jahrhundert und mehr hatte den Vorfall in Vergessenheit gerathen lassen, als die mittlerweile seitens der Taucherkunst gemachten Fortschritte zu dem Versuche führten, das Schiff wieder zu heben oder wenigstens den Werthinhalt desselben wieder an’s Licht zu schaffen. Ich lebte gerade damals, 1858, in England und verfolgte diese Versuche mit dem höchsten Interesse. Die Taucher waren selbstverständlich die Helden des Tages. Ihr beständiges Sichbewegenmüssen unter den geputzten Balldamen in der Salonkajüte, hatte Manches was auf die Nerven fiel, aber eine ganz bestimmte Scene die vorkam, war doch noch von etwas besonders Schreckhaftem begleitet. Es galt, als man mit dem Leichteren fertig war, zuletzt noch die Hinaufschaffung der Geschütze, die denn auch dadurch bewerkstelligt wurde, daß die Taucher eine von oben her herabgelassene Eisenkette um die Rohre legten und dann das Zeichen zum Aufziehen gaben. Einem der Taucher war dies schon etliche Male geglückt, als er aber damit fortfuhr und sich eben wieder mit dem Umlegen der Kette beschäftigte, sah er, daß ein ungeheurer Seefrosch, der sich in dem mächtigen Geschützrohr einquartiert hatte, seinen Kopf neugierig vorstreckend, ihn mit seinen Riesenfroschaugen ziemlich mißmuthig ansah. Er erschrak heftig, aber voll Geistesgegenwart den Kanonenwischer packend, der noch auf der Laffette lag, stieß er den Neugierigen in seine Wohnung zurück, ließ den Wischer wie einen Verschlußpfropfen drin stecken und gab, während er sich rittlings auf die Kanone schwang, das Signal, auf das hin nun die Hebemaschiene sowohl ihn, wie das Geschütz selbst und den gefangenen Seefrosch nach oben zog.
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Theodor Fontane: Meine Kinderjahre. Berlin: F. Fontane & Co., 1894, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Fontane_%E2%80%93_Meine_Kinderjahre.djvu/092&oldid=- (Version vom 1.8.2018)