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mein Vater, in dieser seiner Reisezeit, viele an seine junge Frau gerichtete „Liebesbriefe“ geschrieben hatte, die nun als solche zu persiflieren, zeitlebens ein Hauptvergnügen meiner Mutter war. „Ihr müßt nämlich wissen, Kinder“, so hieß es dann wohl, „ich habe noch eures Vaters Liebesbriefe, so ’was Hübsches hebt man sich eben auf, und einen kann ich sogar auswendig, wenigstens den Anfang. Dieser eine kam aus Eisleben und darin schrieb er mir: „‚Ich bin hier heute Nachmittag angekommen und habe ein recht gutes Quartier gefunden. Auch für den Schimmel, der sich vorn etwas gedrückt hat. Aber davon will ich Dir heute nicht schreiben, sondern nur davon, daß dies der Ort ist, wo Martin Luther am 10. November 1483 geboren wurde, neun Jahre vor der Entdeckung von Amerika“‘ … „Da habt Ihr euren Vater als Liebhaber. Ihr seht, er hätte einen Briefsteller herausgeben können“.

Dies alles war seitens meiner Mutter nicht blos ziemlich ernsthaft, sondern leider auch bitter gemeint; sie litt darunter, daß mein Vater, so sehr er sie liebte, von Zärtlichkeitsallüren auch nie eine Spur gehabt hatte.

Das Reisen dauerte dreiviertel Jahr und ging zuletzt in östlicher Richtung auf die Odermündung

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Theodor Fontane: Meine Kinderjahre. Berlin: F. Fontane & Co., 1894, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Fontane_%E2%80%93_Meine_Kinderjahre.djvu/045&oldid=- (Version vom 1.8.2018)