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Reinhold Steig: Zur Entstehungsgeschichte der Märchen und Sagen der Brüder Grimm. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen

Alvensleben“ (S. 200), ist niemals eine Sage begonnen worden. Die prächtig vorgetragenen Märchen Runges erscheinen bei Büsching innerhalb einer Gesellschaft, in die sie nicht gehören. In Grimms Sammlung stehen sie wie unter ihresgleichen. Kein greller Wechsel des Stiles und des Vortrages stört unser Empfinden, wenn wir sie mit den übrigen in einem Zuge lesen. Grimms waren sich des Unterschiedes zwischen ihrer Arbeit und der Büschings wohl bewußt; zu Görres (8, 350) hat sich Wilhelm darüber ausgesprochen, Jacob öffentlich in einer Recension (6, 130).

Dieses vergleichende Lesen der beiden Märchen trug mir nun aber die sonderbare Bemerkung ein, daß die Texte des Machandelbooms an den drei Urstellen und die des Fischers an den zwei Urstellen formell und dialektisch ganz verschieden lauten, während sie materiell im wesentlichen sich decken. Ich suche diese Verhältnisse anschaulich zu machen:


a) Machandelboom.

Arnim hat das Märchen in zwei Nummern seiner Einsiedlerzeitung gegeben. Über dem ersten Teile steht die Überschrift „Von den Mahandel Bohm“, über der Fortsetzung jedoch „Von den Machandel Bohm“; im Texte dagegen findet sich nur die Form „Machandelboom“. Büsching überschreibt „Von dem Mahandel Bohm“ und normiert im Innern des Textes stets „Mahandelboom“. Bei Grimms begegnet „Van den Machandel-Boom“ als Überschrift und nur „Machandelboom“ im Texte. Man sieht, wie Arnims ungleichmäßiges Verfahren fortgewirkt hat. Wahrscheinlich, wie ich darthun werde, hatte Runge selbst keine Überschrift gesetzt, sie rührt wohl erst von Arnim her.

Um den Unterschied der dreifachen Schreibung und der Dialektfärbung zu zeigen, will mir kein anderes Mittel als die Gegenüberstellung der Texte als ausreichend erscheinen. Ich wähle die wundervolle Stelle gleich am Eingange des Märchens aus, wo erzählt wird, wie sich der schönen frommen Frau ihr heißester Wunsch erfüllt. Sie steht im Winter unter dem Wacholderbaum auf ihrem Hofe und schält sich einen Apfel. Sie schneidet sich in den Finger, daß das Blut in den Schnee fällt. Da wünscht sie sich ein Kind, so rot wie Blut und so weiß wie Schnee. Und nun heißt es weiter bei

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Zur Entstehungsgeschichte der Märchen und Sagen der Brüder Grimm. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen. Georg Westermann, Braunschweig 1907, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Entstehungsgeschichte_Maerchen_Sagen_Grimm.djvu/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)