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Reinhold Steig: Zur Entstehungsgeschichte der Märchen und Sagen der Brüder Grimm. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen

immer noch im Gefühl des mundartlichen Zustandekommens der eigenen Texte, nicht stark genug, um sich der Aufnahme der neuen Texte zu widersetzen. Damit stimmt nun aber keineswegs die Fassung, die Wilhelm Grimm der Neubearbeitung des Anmerkungen-Bandes 1856 gab. Da heißt es (S. 28), das Märchen „de Fischer un siine Fru“ habe Runge zu Hamburg in der pommerschen Mundart trefflich aufgeschrieben: „Es ist hernach auch in Runge’s Werken abgedruckt worden.“ Ja, Grimms Abdruck hatte aber jetzt den pommerschen Dialekt verloren! Zum Machandelboom (S. 77) wird jetzt nur noch bemerkt: er sei von Runge nach der Volkserzählung aufgeschrieben. In dieser letzten, von Wilhelm Grimm angenommenen Form stehen die beiden Märchen noch heute in unseren Ausgaben.

Ich fasse zusammen. Die bei Grimms von 1812 bis 1841 vorhandene Lautform der beiden Märchen ist unecht, durch Reimers Schuld. Die in Runges Hinterlassenen Schriften und bis heute in Grimms Märchen dafür eingetretene Form ist gleichfalls unecht, durch Daniel Runges Schuld. Niemals hat es diese beiden Sorten von Dialekt lebendig gegeben. Die wahre Form der beiden Märchen, wie sie aus der Hand Otto Runges mundartlich und stilistisch hervorgegangen ist, bietet uns, kleine Fehler abgerechnet, für den Machandelboom Arnims Einsiedlerzeitung 1808, für den Fischer und sine Fru Büschings Märchensammlung vom Jahre 1812.


2. Die Sage von Rodensteins Auszug.

In Grimms Deutschen Sagen, 1816 S. 244, wird die Sage von Rodensteins Auszug erzählt. Die Brüder Grimm berufen sich daselbst auf eine mündliche Quelle und laden ein, die Zeitung für die elegante Welt Nr. 126 vom 25. Juni 1811 und den Gothaischen Reichsanzeiger in mehreren Nummern des Jahres 1806 zu vergleichen.

Der Aufsatz der Eleganten Welt giebt erst die Sage selbst und läßt darauf eine Anzahl urkundlicher Belege folgen. Wie gänzlich andersgeartet die Sage bei den Brüdern Grimm zunächst auch scheinen möge, so lehrt eine Vergleichung dennoch ihre Abhängigkeit von der Darstellung in der Eleganten Welt: wie

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Reinhold Steig: Zur Entstehungsgeschichte der Märchen und Sagen der Brüder Grimm. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen. Georg Westermann, Braunschweig 1907, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Entstehungsgeschichte_Maerchen_Sagen_Grimm.djvu/24&oldid=- (Version vom 1.8.2018)