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Reinhold Steig: Zur Entstehungsgeschichte der Märchen und Sagen der Brüder Grimm. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen

1, 103 (vgl. oben S. 288): „Na“, säd de Fru, „wult du nich König syn, so will ik König syn, Ga hen tom Butt, ik will König syn.“ „Ach, Fru“, säd de Mann etc.

1, 108: Door sitten se noch bet up hüüt un düssen Dag.

Die Erklärung dieses auffallenden Wechsels bei den Brüdern Grimm erbringt der Umstand, daß inzwischen, 1840 und 1841, die Hinterlassenen Schriften Otto Runges erschienen waren, in denen die Texte in dieser Gestalt gedruckt sind.

Daniel Runge faßte bald nach seines Bruders Otto Tode den Entschluß, die hinterlassenen Schriftstücke des letzteren zu sammeln und herauszugeben. Er hat sich, wie wir wissen, an Goethe, an Görres, an Tieck und an andere Freunde des Verewigten gewandt und deren thätige Mithilfe zu seinem Unternehmen sich erbeten. 1812 schrieb er auch an Arnim, welcher Brentano (S. 306) gelegentlich davon Mitteilung machte: „Der Runge hat mir nochmals geschrieben wegen der Briefe seines Bruders an Dich. Weißt Du, wo sie hier liegen? kann ich sie finden? Auch wünscht er das Originalmanuscript seines Bruders von den beiden Märchen, das ich Dir einst gegeben habe; kannst Du es ihm verschaffen?“ Was Brentano darauf gethan oder geantwortet hat, darüber besitzen wir leider kein direktes Zeugnis. Es sind schließlich über der Sammlung an drei Jahrzehnte hingegangen. Wie das Werk vorliegt, enthält es Otto Runges Briefe an Brentano und Brentanos Nachruf auf Runge in Kleists Berliner Abendblättern vom Jahre 1810. Brentano selbst muß diese Stücke hergegeben haben; er, Bettina von Arnim, Görres, Jacob Grimm gehören zu den Subskribenten, die das Erscheinen des Werkes möglich machten; ich benutze das Grimmsche Exemplar, das jetzt der Berliner Universitäts-Bibliothek gehört. Daß aber das Originalmanuskript der Märchen mit zurückgekommen sei, wird nirgends gesagt oder angedeutet. Es ist auch nicht wahrscheinlich. Denn sonst würde das Schriftstück Wort für Wort abgedruckt worden sein, und man läse nicht 1, 372 die auffällige Anmerkung: „Es sind die Plattdeutschen Stücke in diesem Abdrucke meist dem Hamburgischen Dialekte anbequemt worden; welches doch nicht vollständig hat geschehen können.“ Also Daniel Runge gesteht auch wieder, eigenmächtig und nicht konsequent verfahren zu sein.

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Zur Entstehungsgeschichte der Märchen und Sagen der Brüder Grimm. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen. Georg Westermann, Braunschweig 1907, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Entstehungsgeschichte_Maerchen_Sagen_Grimm.djvu/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)