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van der Werff ein höchst biederer, obwohl etwas eigenthümlicher und melancholischer Mann.

An der linken Seite des stattlichen Mannes ging dessen Schwester, welche ihm, dem Wittwer, die Hausführung besorgte: eine alte hagere Jungfer, die in jeder Bewegung wie in jeder Falte ihres Gesichts eine große Frömmigkeit zur Schau trug.

An der andern Seite befand sich Julia. Sie war eine hohe, stolze, ernste Erscheinung und so untadelhaft gebaut, daß Franz van Mieris, welcher sie fest ins Auge faßte, unwillkürlich einen leisen Ausruf der Bewunderung ausstieß und, wie von innerer Gewalt getrieben, eilte, um ihr näher zu kommen. Julia’s Gang war fest und würdig, ihr schönes, etwas blasses Antlitz war von mildem Ausdruck, zeigte aber eine unbeugsame Entschlossenheit. Es mußte nicht so leicht sein, als der schöne Maler glaubte, dies Mädchen in ihren Vorsätzen wankend zu machen.

Vergebens versuchte Mieris, als er ihr sich genähert hatte, unter den gewöhnlichen, galanten Anreden mit ihr ein Gespräch anzuknüpfen. Er hatte ein ausgezeichnetes Bouquet künstlicher Blumen und einen seiner parfümirten Handschuhe, die so klein waren, daß sich ihrer die schönste Dame nicht zu schämen gehabt hätte, zur Hand genommen und bot ihr jetzt beides mit der ernstesten, unbefangensten Miene von der Welt an, als ob sie solches verloren habe.

– Ich danke Euch, Mynheer, war Julia’s einfache, offene Antwort; ich trage weder Schmuck, noch Blumen, noch Handschuhe; ich habe dies nicht verloren.

Franz van Mieris verbeugte sich schweigend und trat zurück. Aber tief war er im Herzen getroffen. Dieser Ton der Stimme, dieser Blick hatte ihn elektrisirt und sein Gemüth in die gründlichste Aufregung gebracht. Wie schön war sie! Und der Ton, mit welchem sie sprach, war ein halb trauriger, als sie ihr schönes Auge nachdenklich auf ihm ruhen ließ. Welche Fluth romantischer Gedanken sprang in seinem Innern mit einem Schlage hervor! Er sah Julia als eine Dulderin, als ein Opfer der finstern Religiosität des alten Cornelius van der Werff und seiner hagern Schwester, und war’s vorhin nur ein genialer Einfall von ihm gewesen, einer künftigen Novize Liebe einzuflößen: so hatte er jetzt den ritterlichsten Vorsatz von der Welt, das schöne Mädchen ihren Peinigern zu entreißen.

Franz wollte mit Julia reden, und o, er fühlte dies bereits, mit welcher Beredtsamkeit, mit welcher hinreißenden Gluth würden seine Worte strömen. Sie konnte ihm nicht widerstehen – noch war er gegen Mädchen immer Sieger geblieben – sie mußte ihn hören und erhören.

Berauscht, fast bezaubert von dieser Gedankenreihe, gewann der Leichtsinnige seine ganze Verwegenheit. Er überlegte seinen Plan einige Augenblicke, dann entschied er sich für den kürzesten als den besten Weg. Er folgte der Familie van der Werffs bis an das prächtige Wohnhaus des Kaufmannes; statt aber hier wieder umzukehren, schlüpfte er, als die Menschen das Gebäude betraten, ebenfalls hinein. Franz hatte nichts Geringeres im Sinne, als ohne Weiteres Julia van der Werff persönlich zu bestürmen, um ihren Entschluß wankend, sich selbst die Schöne aber geneigt zu machen.

Das Haus wurde geschlossen und der Abenteurer befand sich mit einer Art ängstlichen Gefühls auf den langen Corridors in vollkommener Finsterniß allein. Einige Dienerinnen gingen hin und wieder; der Maler ward genöthigt, da die Mägde Licht trugen, sich zu verstecken. Dennoch

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/84&oldid=- (Version vom 1.8.2018)