Seite:Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie.pdf/688

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

– O weh! Ein Weib? sagte der Major. Sorgt dafür, guter Vater, daß die uns wenigstens nicht sieht. Das Geheimniß ist zu viel werth, als daß ein Weib dasselbe verschweigen könnte.

– Eben auf dies Frauenzimmer baue ich einen Plan! bemerkte Felix. Weder Sie, edler Prinz, noch Sie, Herr Major, sind von hoher Gestalt; Sie besitzen Beide schönes, langes Haar und Ihr zarter Bart läßt sich noch spurlos vertilgen. Hände und Füße sind bei Ihnen völlig damenartig. Sie werden sich daher in Athanasia’s Anzüge theilen, sich als Mädchen verkleiden und von ihr selbst mit Tagesanbruch über die Schanzen hinausgeleitet werden.

Xavier schwor freilich, er werde sich lieber braten lassen, als seinen Degen zurückzulassen und Weiberkleidung anzuziehen; aber Condé nahm mit wahrem Interesse an dem Komischen des Rettungsmittels dasselbe an und verlangte, sofort seine Metamorphose zu bewerkstelligen.

– Lassen Sie Athanasia kommen! rief der Prinz.

Pater Felix unterdrückte einen Anflug von Verwirrung und klopfte dann an eine Seitenthür des Gemaches. L’Hôpital winkte dem Prinzen mit bezeichnender Miene; der Jesuit aber nahm ein ungewöhnlich ernstes Wesen an.

– Athanasia ist meine Tochter! sagte er in schwermüthigem Tone. Die Tochter meines unvergeßlichen Weibes, deren Tod mich die Welt unerträglich finden ließ und mich dem Dienste der Kirche in die Arme trieb. Sie sehen, Sie dürfen in Bezug auf dies Kind eben so ruhig sein, als ich, obgleich sie Gelegenheit gehabt hat, unsere Unterhaltung nach Mädchenart zu belauschen.

Die Blicke des Prinzen schienen mit einem Male einen ganz neuen Ausdruck erhalten zu haben. Sein leidenschaftliches, keine Zügel kennendes Gemüth war, nach dem unstäten Funkeln seiner Augen zu schließen, plötzlich durch dies „Kind des Jesuiten“ in Flammen gesetzt und er erwartete mit der höchsten Spannung die Erscheinung Athanasia’s.

Das Mädchen trat bald aus der finstern Zelle hervor. Sie hatte sich vollkommen angekleidet; dennoch war ihre Toilette in dem Dunkel reizend nachlässig gerathen. Athanasia stand von dem Lichtglanz einige Secunden geblendet, dann konnte sie die großen, schwermüthig blickenden, braunen Augen aufschlagen, doch nur, um sie sofort vor den brennenden Blicken des Prinzen und des forschenden l’Hôpital wieder zu senken. Dies hohe, schlanke Mädchen mit den frisch wie Morgenroth erglühenden Wangen, dem üppigen, gekräuselten Braunhaar, das in seiner Unordnung fast antik aufgebunden erschien, übte auf den Condé einen Eindruck, wie er, der galanteste – besser, ausschweifendste – Cavalier am französischen Hofe, ihn seit seinem ersten Verlieben nicht erprobt hatte. Der Jesuit bemerkte diese Wirkung der Schönheit seiner Tochter mit scharfem Auge und nahm sie bei der Hand, gleichsam als wolle er sie instinktmäßig gegen diesen Raubgeier weiblicher Tugend schützen.

Athanasia entfernte sich, um ihre Kleider zurecht zu legen. Mit reizender Schamröthe auf den Wangen kehrte sie zurück und lud die beiden Cavaliere ein, in ihrem Schlafzimmer ihre Verwandlung zu bewirken. Die Secunde drauf befanden sich die beiden Soldaten in dem klösterlich einfachen und saubern Closet, wo kurz vorher ein bezauberndes, jungfräuliches Wesen schlummerte. Hätte die Aufregung des Prinzen noch neuer, glühender Nahrung bedurft – hier war sie auf der Breite jedes Zolles vorhanden. Er achtete nicht auf l’Hôpitals Fluchen, als derselbe seine Stiefel

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/688&oldid=- (Version vom 1.8.2018)