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Christus mit dem Zinsgroschen.
Von Tizian.
und
Christus und Matthäus.
Von Giov. Ant. da Pordenone.

Noch immer war Alt-Venezia die über Inseln herrschende „Königin“, obgleich sie die ersten verhängnißvollen Schritte gethan hatte, um von ihrer mächtigen Höhe für alle Zeiten herabzusteigen. Man schrieb das Jahr 1502.

Der Weg um’s Cap der guten Hoffnung nach Ostindien war von den unerschrockenen Lusitaniern aufgefunden, und der Erbfeind Venedigs, der Muselmann, beugte unter Sultan Bajesid die Macht der Republik, und die Fahne mit dem Flügelbären waren namentlich im griechischen Archipel vor dem Halbmonde in den Staub gesunken.

Dennoch war Venedig Venedig. Segelte man hinaus auf die Rhede zwischen den unendlichen Mastenwald oder schoß auf der Gondel durch die Kanäle an den majestätischen Palästen hin, so bemerkte man keine Spur von den Staatsunfällen, welche die sorgenschweren Häupter der Rathsherren erfüllten. Reges, gewinnbringendes Leben zeigte sich allenthalben und die vornehmen Republikaner hatten von ihrem Reichthum, ihrer Pracht und Kunstliebe, und das Volk von seinem Wohlstande und seiner unersättlichen Vergnügungssucht nichts eingebüßt.

Die letztere war vielleicht größer geworden als sonst, seit die Regierung – vielleicht in hochpolitischer Absicht – gewisse beschränkende Verbote in dieser Beziehung aufrecht zu erhalten unterließ. So durfte sonst, sobald die letzte Stunde vor Mitternacht eingetreten war, Niemand eine Serenade mehr bringen, und die Menge mußte noch eine Stunde früher die öffentlichen Plätze räumen. Masken durften sich nicht zeigen. Alles dies ward übersehen. Um Mitternacht noch klangen die Guitarren und klagten die maskirten Liebhaber, an den Schnabel der Gondel gelehnt, unter den Gitterfenstern der Angebeteten; und die Piazzetta, gegenüber dem Dogenpalaste, war bis zum lichten Morgen der Tummelplatz für alle Nachtschwärmer, die hier tranken, sangen und – was früher bei schwerster Strafe verpönt war – unter freiem Himmel Faro spielten. Es gab wieder häufige Dramen, die mit Dolchstichen, und nächtliche Unterredungen der jungen Herren, die mit Degenstößen endigten. Die Richter aber schienen zu schlafen, und die furchtbaren Löwenköpfe auf dem Corridor über der Riesentreppe des Dogenpalastes schienen seit einiger Zeit die heimlichen Anklagezettel, welche ihr Rachen aufnahm, zu zermalmen, so daß sie nicht den Rächern zu Gesicht kamen.

Neben diesem freieren äußerlichen Leben in der Lagunenstadt regte es sich nicht weniger in der Welt des Geistes. Die Meereskönigin hatte schon längst den Namen der Mutter der Gelehrsamkeit geführt; die Wissenschaften aber schienen vor dem Glanze zu erbleichen, mit welchem die Kunst sich aufschwang. Rasch hatten die Venezianer von Antonello von Messina an, in den

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Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/309&oldid=- (Version vom 1.8.2018)